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SchülerInnen gedachten tausendfach

■ Unzählige 5.-13. Klassen unterwegs auf den Spuren der jüdischen Jungen und Männer, die zum Zuchthaus Oslebshausen getrieben wurden / „Weil wir das gerade in der Schule haben, mit den Juden und so“ / Angst vor Pogrom gegen Ausländer

Aus allen Bussen und Bahnen quollen gestern am frühen Vormittag Mitglieder von 5c's und 11t's auf die Domsheide und verstopften die Dechanatstraße. Aber nur ein einziges schwächliches Megaphon lag bereit für die Begrüßungsansprache: Die OrganisatorInnen vom „Bündnis Reichspogromnacht“ waren auf dieses tausendfache Interesse der Jugend schlecht vorbereitet. Ihr geplanter „Gedenkgang“ zum 50. Jahrestag der „Reichskristallnacht“ erwies sich als bei weitem publikumsträchtigste Veranstaltung im Rahmen des umfangrei

chen Bremer Gedenk-Pro gramms.

Ihr Aufruf hatte sich an alle BremerInnen gerichtet, doch fast ausschließlich SchülerInnen waren ihm gefolgt, was diese kritisch registrierten. Astrid Bialluck (Jahrgang 1970): „Find ichtraurig, daß fast nur jüngere, nur Schüler da sind.“ Ihr Nebenmann ergänzte: „Ja. Und sonst nur Lehrer, und die müssen ja wohl aus organisatorisch -versicherungstechnischen Gründen mit dabei sein.“

Bildungssenator Thomas Franke hielt zu Beginn eine ent

schiedene Ansprache: „Die Täter von damals haben ihren Lebensabend mit Staatspension verbracht. - Ihr seid ohne Schuld, aber ihr seid in der Schuld, das Geschehen von damals in Erinnerung zu bringen.“ Er hatte allen SchülerInnen schon am Vortag freigegeben für einen „Projekttag“, an dem die Vergangenheit in allen Schulen aufgearbeitet werden sollte.

Und auch für gestern hatte er verfügt, daß die SchülerInnen, die an dem Gedenkgang teilnehmen wollten, auch Gelegenheit dazu bekommen sollten. Eine

Verfügung, für die sich etwa am Gymnasium Kippenberg - nicht alle KlassenlehrerInnen interessierten, so daß manche Klassensprecherin beim „Direx“ die offizielle Erlaubnis holen mußte.

Der „Gedenkgang“ stand unter dem Ausspruch des früheren Rabbiners Dr. Felix Aber: „Wir schritten durch eine schweigende Stadt“ und folgte dem Weg, den verhaftete jüdische Jungen und Männer am Morgen des 10. November 1938 gehen mußten. Ein stundenlanger, demütigender Fußmarsch vom Alten Gymnasium, wo die Männer zusammen

gepfercht die Nacht verbringen mußten, bis zum Gefängnis Oslebshausen, von wo aus sie in das KZ Sachsenhausen deportiert wurden.

Eine kesse Fünft-Klässlerin sagte, warum sie dabei ist: „Wir gehen mit, weil wir das gerade in der Schule haben, mit den Juden und so.“ Eine Gymnasiastin aus der 11. Jahrgangsstufe hat noch andere Gründe: „Viele von uns denken, es könnte noch mal passieren - mit den Ausländern.“ Etliche verschwanden unterwegs bei Karstadt oder in Bäckereien, dafür gesellten sich aus Schulen

im Westen neue dazu.

Insgesamt dauerte der Fußmarsch fünf Stunden. Die „Elan“ wurde verkauft, Paare flirteten, zwei Freundinnen gingen Hand in Hand. Im Gespräch stellte sich heraus, daß die beiden 15- und 16jährigen Ausländerinnen sind, die eine blond, die andere dunkel. Sie haben „Angst vor Menschenmengen“ und davor „daß das wieder geschehen kann“. Die eine traut sich mit ihren schwarzen Haaren nicht mehr am Sielwalleck vorbei, die andere fühlt sich „auch jetzt hier isoliert.“

Barbara Debus

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