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PIRATEN AUF DER SPREE

■ „Cafe Metropolis“ spielt Pessoas „Meeresode“

Wie verführerisch ist doch, in den Kältegraden der Stadt, die Erinnerung an das Meer, das doch als trivial umlagertes Gewässer romantische Gedanken nur noch selten einlöst?

Wer solch freund-feindliche Gefühle zum Meere hegt, wird sich in Fernando Pessoas „Meeresode“ wiederfinden. Es ist Alvaro de Campos, eines der dichterischsten alter egos Pessoas, denen er eigene Lebensläufe mitgab, ein Schiffsingenieur zu Lande, den wir vom Büro zur Bar, von dort zu seinem Schlafgemach begleiten, durch seinen wirklichen und imaginären Tagesablauf. Ihm ist das Meer nicht süßliche Erinnerung, er lebt an seiner Küste, so wird es ihm zur Qual und Verheißung. Traum von der Reise, der Ferne, der Unendlichkeit des Meeres. Doch zum Hohn gerät ihm die unmäßige Häufung der das Meer ins Absolute entrückenden Attribute. Zur Obsession wird ihm der Anblick der Schiffe, ihre Vielzahl, Verschiedenheit, Ein- und Ausfahrt, tagtäglich. Schließlich die schmerzliche Erkenntnis: er muß bleiben.

Was die Wirklichkeit verwehrt, muß die Imagination erschaffen. „Gebt mir Literatur, Metaphern...“ ruft der schon Berauschte, bald trägt ihn ein wilder Traum von der Piraterie auf hoher See davon. Doch hält es ihn nicht in Kinderphantasien, treibt es ihn weiter in masochistisches Sehnen nach krudesten Torturen, sofern er sie nur auf See erleide, das umschlägt in die sadistische Vision blutigen Gemetzels, verübt durch die aus seinem ausbrechenden Ich projezierten Piraten. Es wird ihn verwundern, er wird seine imaginären Opfer bedauern. Am nächsten Morgen.

Fernando Pessoas „Meeresode“ ist ein poetisches Werk von hoher Dichte, das von Auseinandersetzung mit der Kraft und Schwäche der Sprache, mit dem erhabenen wie dem trivialen Mythos zeugt. Und ein Werk voller Spannung, weil es nicht bei der Form verweilt, sondern sie gebraucht, um der Rebellion des Individuums gegen das abtötende Gleichmaß des Alltagslebens Ausdruck zu geben.

Ein Werk also, das dazu drängt, gesprochen, dargestellt zu werden, das gleichwohl oder eben darum nicht leicht für die Bühne zu erschließen ist. Der Aufführung des „Cafe Metropolis“ ist es gelungen. Durch das Schauspiel Heinz Müllers, der dem Alvaro de Campos kantig, harsche, jedenfalls lebendige Gestalt gibt, die, von der Dirchtung bewegt, bisweilen den Kampf zwischen dem gebieterischen Rhythmus und den leer gewordenen Worten im eigenen Leibe auszutragen scheint. Und durch die Regie Werner Gerbers, der im Raum atmosphärisch starke Bilder erstehen läßt, die die Dichtung nicht in den Hintergrund drängen, vielmehr sich einfühlsam ihr verbinden. Spielort ist der Laderaum eines Lastkahns. Auch wenn uns nicht die atlantischen Stürme wiegen, schlimmstenfalls die Phonstürme des Tempodroms vorüberstreichen, trägt dieser doch seinen unverzichtbaren Teil zur Atmosphäre des Stückes bei.

glagla

„Cafe Metropolis“ zeigt die „Meeresode“, Fr-So, 20 Uhr auf der MS Edith, Schlieffenufer, hinter der Kongreßhalle, Anlegestelle der „Spreefahrt“.

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