Flower-Power aus der Retorte

Die harmlose Balkonpflanze Petunia als Einstiegsdroge: Mit 37.000 roten Blümchen wird in der Bundesrepublik im kommenden Frühjahr der erste Freilandversuch mit einer gentechnologisch veränderten Pflanze vorgenommen / Fakten schaffen, bevor die Diskussion begonnen hat  ■  Von Manfred Kriener

Berlin (taz) - Im Sommer 1989 wird auf einem Fußballfeld -großen Blumenbeet in Köln die erste Freisetzung von gentechnisch verändertem Erbmaterial in der Bundesrepublik erfolgen. Die harmlose Balkonpflanze Petunia ist für dieses historische Experiment vom Kölner Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung auserwählt worden. An ihr sollen „springende Gene“ erforscht werden, die Motoren der Evolution.

RLO1-17-3 heißt die von den Gen-Ingenieuren erschaffene Petunien-Art, die so in der Natur nicht vorkommt. Äußerlich hebt sie sich durch die lachsrote Farbe von ihren blauen oder normalroten Schwestern ab. Im Innern trägt sie künstlich eingeschleust - das Mais-Gen A1 in ihrem Erbmaterial. Dieses Gen ist für die Veränderung der Blütenfarbe verantwortlich. Doch wenn im nächsten Sommer 37.000 „neue“ Petunien im Kölner Freiland blühen, wird das rote Blütenmeer von einigen wenigen weißen Blüten unterbrochen sein. Auf genau diese Ausreißer sind die Kölner Forscher scharf. Bei ihnen hat eine Mutation durch springende Gene stattgefunden, was wiederum zu einer Farbänderung führt.

Springende Gene (Transposomen) sind bereits seit vier Jahrzehnten bekannt. Es sind genetische Einheiten, die von einer Stelle im Chromosom zu einer anderen „springen“ können. Dadurch wird die Erbinformation der Pflanze und damit ihr Aussehen oder ihre Eigenschaften verändert. Bisher sind die Transposomen jedoch zum Ärger der Gentechniker auf solche Gene gehüpft, die nicht molekular isoliert werden konnten, auf die man also keinen Zugriff hat. Mit dem Kölner Experiment sollen sie nun in die Falle gelockt werden. Das maßgeschneiderte Mais-Gen wurde nämlich in der Hoffnung eingebaut, daß ein Transposom genau in dieses vorgegebene Gen hineinspringt. Die Folge wäre eine Farbänderung der Petunie von lachsrot zu weiß. Die Mutanten wären also leicht zu erkennen, und ihr Mais-Gen samt Transposom könnte isoliert werden - das springende Gen wäre somit eingefangen. Um das Mais-Gen wiederzufinden, liegt eine DNA-Probe als Erkennungsstück bereit. Sie soll das Aufspüren des A1 erleichtern.

Das oben beschriebene, von den Wissenschaftlern als „evolutionistisch“ formulierte Ziel des ersten Freiland -Versuches ist inzwischen in den Hintergrund der Debatte getreten. Dafür haben die Kölner Forscher und die Bonner Ministerien selbst gesorgt. „Das Vorhaben wird ... als guter Einstieg in die Freisetzungsthematik angesehen“, schrieb Frau Süssmuths Staatssekretär, Anton Pfeifer, schon im August erleichtert. Und der Genehmigungsantrag vom Kölner Instituts-Direktor Heinz Saedler beginnt mit dem Satz: „Wir wollen (mit unserem Experiment) die Diskussion über den Anbau gentechnologisch veränderter Pflanzen im Freiland initiieren.“

Das ist deutlich. Ergo: Es geht nicht mehr primär um wissenschaftliche Ziele, sondern um politische. Harry Kunz vom Landesvorstand der Grünen in NRW wittert hinter den Petunien den „massiven Einstieg in die kommerzielle Nutzung der Gentechnologie“. Auch die Mitarbeiter des Gen-ethischen Netzwerkes in Berlin sehen die Kölner Freisetzung vor allem als Einstiegsdroge. Mit einem vergleichsweise harmlos anmutenden Versuch soll der Weg bereitet werden für weit gefährlichere Freisetzungsexperimente. Mit Petunia werde die Bundesrepublik ihre Unschuld in Sachen Freisetzung verlieren. Und nochmal die Grünen: „Hier werden Fakten geschaffen, bevor die möglichen Folgen solcher Freisetzungsversuche in einer breiten öffentlichen Diskussion erörtert wurden.“

Trotz dieser eher grundsätzlichen Kritik am „Einstieg“ gibt es auch konkrete Vorbehalte für das Experiment selbst und für den Kölner Genehmigungsantrag. Da die Wahrscheinlichkeit für das Springen von Genen bei 1:10.000 liege, sei es noch gar nicht sicher, ob bei 37.000 Pflanzen überhaupt eine ausreichende Anzahl von Mutationen stattfindet oder ob weitere Petunien-Freisetzungen notwendig sind.

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft das sogenannte Antibiotika-Resistenz-Gen (siehe Interview). Das besondere technische Verfahren beim Einsetzen des Mais-A1-Gens hat es notwendig gemacht, dieses zweite Gen mit zu übertragen.

Im nächsten Frühsommer, wenn die Kölner auf warmes Wetter für ihre frostgefährdeten Petunien warten, werden solche Einwände kaum noch eine Rolle spielen. Dann geht es ums Grundsätzliche: „Wie bei Atomkraftwerken um den Einstieg in eine neue gefährliche Technologie“ (die Grünen in NRW). Der Vergleich mit der Atomenergie hat inzwischen eine weitere Parallele erhalten: den Bauzaun. „Zum Schutz des Materials vor Unbefugten“ wird das Kölner Petunienfeld eingezäunt. Und nicht nur das. Auch das gesamte Institutsgelände samt Dienstvilla von Professor Saedler soll mit Zäunen gesichert werden. 'Konkret‘ veröffentlichte dazu einen Briefwechsel des Instituts mit der Stadt Köln. Darin heißt es: „Auch wenn die geplante Umzäunung des Institutsgeländes keinen vollständigen Schutz vor Anschlägen bietet, so wäre doch wenigstens die Kontrolle des Zugangs zum Gelände unter anderem auch durch Polizeistreifen, wesentlich verbessert.“ Gezielter kann man Demonstranten kaum einladen.

Das Kölner Institut hat vor allem wegen des Anschlags der „Roten Zora“ vom August 1985 Angst vor weiteren Aktionen. Damals entstand Millionenschaden als beim Erweiterungsbau des Instituts eine Bombe explodierte. Institutsdirektor Saedler forderte daraufhin die Rote Zora auf, sich künftig „vorher richtig zu informieren“. Hätten sie das getan, „wären die mit der Maurerkelle gekommen, um uns zu helfen“. Vielleicht kommen sie ja im Sommer - zum Unkraut-Jäten...