: Kampf dem Hahnenkampf (2)
■ „Troilus und Cressida“ in der Bearbeitung durch Chris Alexander und die Bremer Shakespeare Company: und hiermit also der Kritik zweiter Teil
Die Bremer Parodierung von Shakespeares hahnenkämpfenden Kriegern um Troja zum Typenkabinett des Männlichkeitswahns geht auf Kosten der Brüche innnerhalb der Figuren, hieß es im 1. Teil der Kritik (taz-HB vom 5.11.88).
Allerdings, so sehr kann man sich denn doch wieder nicht dran gewöhnen, daß Odysseus Iversen immer der kalte Pedant, Ajax Kaempfe immer der Dumpfmuskelprotz, Achill Dieterle immer das zynisch-glatte Vieh und Hektor Gabriele Blum immer der ungeschlachte Haudrauf ist. Denn es gibt ihn und sie immer noch einmal als Gegen -und Schattenbild auf Feindesseite: als Paris Iversen, den locker-leeren sunny-honey trojanischen Königssohn, als Aeneas Kämpfe, den Trojaner, der vernünftig für die Rückgabe Helenas plädiert, und es gibt vor allem die vielen Geschlechtswechsler: Achilles teilt sich die leibliche Hülle Christian Dieterles mit der retortenhaft schönen Helena, unter dem hagestolzen griechischen Heerführer Agamemnon verbirgt sich genau wie unter dem gramgebeugten Trojanerkönig Priamus Anke Engelsmann. Durch diese Schatten-Rollenbesetzungen erscheinen auch die eingefleischtesten Charakterparodien immer als auswechsel
bare Rollen. Sie erscheinen als so an- und abschnallbar wie der schwarzlederne Wulst, dem der kraftschwellende Hektor Gabriele Blum seine Männlichkeit verdankt.
Es ist zwar wahr: meinem hinterher, also nach-denkenden Kopf hat die angeekelte Distanz nicht gefallen, mit der da diese Kriegermänner verarscht werden, denn mit diesem Krieg der Prahlidioten und Zwangscharaktere scheinen die Männer auf und vor der Bühne nichts wirklich gemeinsam zu haben. Da spielt eben ein Krieg der anderen. Das ändert aber nichts an der Faszination, die die Inszenierung auf mich ausgeübt hat.
Der durchschlagende Eindruck war der eines ganz starken Banns, so, als ginge von dem gelbleuchtenden Fleck in der Mitte der zur Arena rundgebauten leeren schwarzen Bühne ein magischer Sog aus. Eine Spannung, die nicht aus dem Handlungsverlauf kommt, denn sowohl die Eroberung und Verschacherung Cressidas (Petra Schmid) wie auch das erwartete große Duell mit Hektor hätte ich in aller Gelassenheit erwarten können.
Es war eine Faszination, die damit zusammenhängt, daß ein sichtbar besser miteinander spie
lendes, gewachsenes Ensemble den neuen, großen Raum mitsamt der Mitteltreppe virtuos ausspielt. Auch die sparsam und gezielt eingesetzte Musik fasziniert: wenn die Helden nacheinander ihre Herr-lichkeit dem Publikum präsentieren, verbreiten Trommelwirbel prickelnde Circusstimmung; berauscht-zotig besingen die sich umarmenden Feinde die goldenen Zeiten früher, als es noch alles ging ohne Überzieher, und gleiten nach dieser Versicherung ihrer Ebenbürtigkeit durch das Saufritual sacht in die a capella gesungene „ich hatt einen Kameraden„-Todessentimentalität, meisterscheußlich!
Und: Große Faszination liegt darin, daß die Kassandraszenen den bitter-zynischen Grundton des Stücks mit ekstatischen Tönen von Trauer und Verzweiflung versetzen. Wenn Hille Darjes im schreckensweißen Haar mitten zwischen den ZuschauerInnen auftaucht und schreit „Weint, Trojer, weint!“, dann läßt einer das Aufgewühlte, das zugleich Wilde und Pathetische ihrer Stimme schon die Tränen aus den Augen stürzen, ehe das Gehirn den Wortsinn erfaßt hat. Durch Darjes‘ Kassandra kriegt der Krieg außer mit Hahnenkampf auch mit Schmerz zu tun, außer
mit Tötern auch mit Getöteten. Angemerkt werden soll hier, daß es zweien meiner männlichen Nachbarn durchaus anders ging: sie fingen an auf den Sitzen zu zappeln, sowie Kassandra die Stimme erhob, und wenn sie sie senkte auch.
Die Erweiterung des Stücks um drei Szenen nach Christa Wolfs „Kassandra“ schafft also vor allem mehr Raum für diesen „unpassenden“ Ton, mit dem die Darjes die Kassandra spielt, eine Figur, die ja in Shakespeares Stück durchaus vorkommt. Aber: Das „Gegengewicht“ einer weiblichen Perspektive, wie es Chris Alexander vorschwebt, bieten die Christa-Wolf-Bröckchen nicht. Der letzte Einschub ist sogar voll mißlungen: im Geschwindschritt werden Kassandra und Aeneas zum Liebespaar gemacht und sofort wieder abgeschafft. So viel so fix, das läßt sich nicht spielen.
Und schließlich: ein absolutes Faszinosum ist Anita Walter als Narr Thersites. Ein kleines bitterböses Streithähnchen unter Hahnenkämpfern, das seine Ohnmacht mit der jeweils obszönsten der möglichen Wahrheiten quittiert. So bitter komisch, daß es oft das Lachen verschlägt.
Uta Stolle
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