piwik no script img

5. Pläsier im Jardin

■ Swinging Metropolis

Wir wissens ja: sobald ein vorwitziger Sonnenstrahl tut, als wär‘ der Frühling ausgebrochen, hockt alles hiesige (Jung -)Volk ganz pariserisch vor den Kneipen und streckt die Nasen ins Ozonloch. Stellt ein Stadtmagazin lenzens Gartenlokale vor, will jede winzige Pinte erwähnt sein, die zwei Tischchen aufn Bürgersteig zu klemmen imstande ist. Ein altes Pläsirvergnügen, ums mal modisch französisch auszudrücken. „Der Berliner liebt in der Sprache den Pleonasmus, ‘doppelt gemoppelt nennt er es: Er setzt sich seinen Chapeauhut auf den Deezkopf und geht in seinen Jardingarten. Dieser ist im Berlin des 19.Jahrhunderts meist nicht mehr als ein Stück Pflaster vorm Ausschank, flankiert von ein paar Kübeln mit Oleander, ein paar Kästen mit Efeu und wildem Wein, mit etwas Birkengrün. Stellt ein Wirt gleich zwei Oleanderbäume nebeneinander, heißt es schon: Det sieht aus wie'n Park! (...) Vis-a-vis gegenüber vielleicht, auf der anderen Cote-Seite der Straße findet sich zwischen den Kneipentischen ein echter Baum - das ist dann ein Naturgarten.„* Der Sommergarten, als weitere Steigerung, bietet im von Napoleonschen Soldaten & Hugenotten geprägten Jargon den „Bal champetre“, das Tanzvergnügen auf eigens hierfür geschaffener Fläche, dem „Pariser“.

Jene luftigen GroßLokalitäten sprießen en masse, besonders seit Einführung der Gewerbefreiheit anno 1869. Als stellvertretendes Beispiel diene der Salon und Jardin Belle Alliance, gelegen in der umgetauften Tempelhofer-, nun Belle-Alliance-Straße. Gartenbetrieb, Restauration, Tanz - & Bühnenunterhaltung; dies vielfältige Cafe-Chantant beträte man heut durch den Vachesalon neben Kreuzbergs zinnenbewehrtem Finanzamt, der geschichtsträchtigen Dragonerkaserne am Mehringdamm. August Wolf, Inhaber des GartenEtablissements, bringt langjährige Erfahrung als Komiker mit - unter anderem vom Hause Joseph Krolls - und besteigt schauspielernd die Bretter bisweilen selbst. Vor ernsthaftem Kritikertum finden solche Spielstätten, die „auf die eine Seite Theaterzettel, auf die andere Seite Speisezettel“ drucken, allerdings wenig Gnade. Was Wunder, wenn etwa die berühmte Mutter Gräbert im Vorstädtischen Sommertheater ein „Mädchen von Orleans“ ankündigt, weil sie meint, die „Jungfrau“ nähme der Darstellerin niemand ab. Symptomatisch mosert Paule Linsemann: „Das Ohr beleidigende Melodien bilden die Zwischenpausen-Musik. Ein unförmig dicker Komiker trägt asthmatisch seine witzlosen Kouplets vor: eine Strophe auf die unvermeidliche Schwiegermutter, eine auf eine aktuelle politische Frage, eine auf den Magistrat oder auf die Steuern, eine auf ein pikant sein sollendes Abenteuer und schließlich womöglich eine patriotischen Gehalts. Das zündet stets, und der spottbillige Hurrahpatriotismus feiert eine Orgie. Daß hier ein frecher Mißbrauch mit einem der erhabensten Gefühle vorliegt, das merkt Gevatter Spießbürger natürlich nicht. Dann kommt ein Zauberkünstler mit den schon seit Adam bestaunten Kunststücken, dann eine Soubrette, die keine Bewegung und keine Stimme hat und durch einige Zoten diese Mankos wieder gut zu machen trachtet, worüber der frenetische Beifall der vor Wonne schmatzenden Banausen jubelnd quittirt.“

Wen juckt's; der Laden erwächst Callenbachs Vaudeville -Theater, gleich um die Ecke, zwischen Blücher- & Johanniterstraße gelegen, zur argen Konkurrenz. ALk & Ulk laufen, Grobheiten inklusive. So überreicht Wolf einem frisch engagierten Vortragskünstler seinen Kontrakt mit den Worten: „Hier, und nun seien Sie so ruppig, wie Sie wollen, zeigen Sie dem Publikum den blanken Hintern, nur werden Sie nicht equivoque.“ Jaja, la censure. Immerhin, Guido Thielscher, erwähnt bereits letzten Montag, tritt hier erstmals auf.

Wolf baut um, reißt ein, vergrößert, daß es dem Bierfaß nur so die Schaumkrone ins gedunsene Gesicht schlägt. Folgend dem Trend verlegt er die Theaterinszenierungen in den Saal und hält sich open air ans Variete: Damenkapellen, Gesangskomiker, Duettisten & Tanzensembles bestimmen das sommergärtliche Unterhaltungsbild der siebziger & achtziger Jahre.

Norbert Tefelski

* Wolfgang Jansen/Rudolf Lorenzen: Possen, Piefke und Posaunen; Berlin 1987.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen