: Fast zu früh in den Westen gestorben
■ S T A N D B I L D
(Die Drei aus Zittau, ZDF, 12.11., 15.15 Uhr) Ein Gedankenexperiment: Drei völlig unpolitische Leute um zwanzig werden aus der BRD in eine DDR-Provinzstadt verbracht. Wahrscheinlich werden sie in Kürze oppositionell. Es wird ihnen dort ne Menge fehlen, was selbstverständlich schien: Kino-, Zeitungs-, Kauf- und Reisevielfalt. Oder so eine einfache Sache wie ein Kopierladen. Umgekehrt sieht das Ganze anders aus: Zur Musik der DDR-Gruppe Karat („Manchmal meint man, daß der Glücksstern fällt“) Ankunft im Notaufnahmelager Gießen. Torsten kommt aus Zittau und ist 1984 nach Deutschland übergesiedelt - wie er sagt. Am Anfang ist er überwältigt und findet alles so billig. „Sieben Mal wirst du die Asche sein“, singt Karat, und beinahe wäre Torsten tatsächlich zu Asche geworden: mit seinem Auto-Traum sich total überschätzend, fährt er sich fast zu Tode. Auch Frank ist nicht des Geistes größtes Kind: Nach vier Jahren im Westen sieht seine Wohnung aus wie ein Kitschgeschäft mit Pudel, Spitzendeckchen und Plüschtieren. Einen Sinn im Leben hat er im Westen nicht gefunden und will nach Mallorca -wieder eine Flucht vor sich selbst. Nur Rita ist in der Lage, ihre Übersiedlung in einem Tagebuch mit intelligenter Klarheit zu reflektieren: „Mut haben die, die drüben bleiben, die im Stillen oder in der Öffentlichkeit Veränderungen anstreben... Die einzige Möglichkeit, die ich jetzt sehe, ist Kontakte und Verbindungen aufrechtzuerhalten bzw. neu zu knüpfen, um einer Entfremdung entgegenzuwirken.“
Warum die drei 1984 von Zittau in den Westen ausreisten, wird nicht so richtig klar: politisch betätigt hat sich niemand von ihnen, es scheinen eher Unlustgefühle gewesen zu sein, sich intensiver auf die DDR-Entwicklungen einzulassen. Sie sind zu früh dort drüben abgehauen. „Über sieben Brücken mußt du gehn“, singt Karat und genau das ist es, was den jungen Zittauern fehlte: verschiedene Brücken in der DDR begangen zu haben. Die Verantwortlichen einer Erziehung zur Anpassung und Unmündigkeit sollten sich fragen, warum so viele junge Menschen das Land verlassen. Und auch die Bestrafung der Ausgereisten und der Zuückbleibenden bringt nichts: Die Treffen in der CSSR und die Rückreiseverbote bewirken nur weitere Unlust in und an der DDR.
All dies transportiert dieser Film, gut gemacht und mit einer wachsenden persönlichen Beziehung des Teams zu den Porträtierten.
Für die Zuschauer in der DDR eine realistische Darstellung der Schwierigkeiten junger Übersiedler jenseits jeder Schwarz-Weiß-Malerei.
Rüdiger Rosenthal
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