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Pressestimmen zu Jenninger: Washington Post / New York Times / Times / Financial Times / Tagesanzeiger / Neues Deutschland

Die 'Washington Post‘ schrieb am Samstag in einem Kommentar, das Thema erlaube „keine Abgeschmacktheit oder Ungenauigkeit“. Sie würdigte aber Entschuldigung und Rücktritt Jenningers als „in Deutschland ebenso selten wie in den Vereinigten Staaten“.

Die 'New York Times‘ dokumentierte Teile der Jenninger-Rede und zitierte in einem Bericht einen amerikanischen Historiker: „Wenn man den ganzen Text liest, ist es eine ganz anständige Rede. Aber es klang so, als identifiziere er sich mit den Dingen, die er zitierte. Sie (die Zuhörer) konnten die Anführungszeichen nicht hören.“

In einem Leitartikel der englischen konservativen 'Times‘ heißt es, die Gedenkfeiern seien zum dreifachen Mißgeschick geworden: für Jenninger persönlich, für die westdeutsche Gesellschaft in ihrem Bemühen, die Vergangenheit zu bewältigen, und vor allem für das Bild der Bundesrepublik. Weiter heißt es:

„Der Inhalt und die Art seiner Rede schienen nur zu bestätigen, was viele Juden immer noch fühlen, wo immer sie leben: daß eine antisemitische Ader durch die deutsche Geschichte fließt, die unter günstigen Umständen wieder zum Vorschein kommen könnte.“

In der 'Financial Times‘ heißt es unter der Überschrift „Parlamentspräsident reißt alte Wunden auf“, die größte Gefahr bestehe darin, daß „latenter Antisemitismus in Westdeutschland zusätzlichen Auftrieb erhält“.

Der Züricher 'Tagesanzeiger‘ sieht in dem Ereignis keinen Ausrutscher: „Bundeskanzler Kohls Wort von der Gnade der späten Geburt, sein peinlicher Auftritt auf dem Bitburger Soldatenfriedhof, sein Gorbatschow / Goebbels-Vergleich gehören so gut in diese Zusammenhänge wie der in Zeitungen ausgetragene Streit deutscher Historiker über die Fakten und Umstände der Judenverfolgung und Vernichtung im Dritten Reich.

Im Lichte solch kleiner und großer Peinlichkeiten der letzten Zeit, verglichen mit den bewußt verunklärenden, beschönigenden, taktlosen, erschreckenden Äußerungen prominenter BRD-Politiker zur Hitlerei, hat Jenningers Fehltritt fast schon System.

Man wartet beunruhigt auf die nächste Katastrophe.“

Das 'Neue Deutschland‘ fragt: „Muß das nicht Erinnerungen wachrufen an einen KZ-Baumeister Lübke, der in Bonn Bundespräsident werden konnte, an den faschistischen Massenmörder Oberländer, der viele Jahre Bundesminister war, an den ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg Filbinger, der als Marinerichter Mordurteile gefällt hatte, an den juristischen Begründer der faschistischen Judenausrottung namens Globke, der als Staatssekretär im Amte des Bundeskanzlers fungierte?“ Und in Frageform gehüllt, schrieb das Blatt, Jenninger habe mit seiner Rede den Beweis erbracht, daß diese schreckliche Tradition noch weiterwirke und die „Gnade der späten Geburt“ nicht automatisch eine Entnazifizierung bedeute.

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