: Erstaunliche Feier
■ Pilsudskis Rehabilitierung in Polen
Er sei an der Haltestelle Unabhängigkeit aus der sozialistischen Straßenbahn ausgestiegen, erklärte einst Josef Pilsudski, umstrittener Staatsgründer Vorkriegspolens. Jahrzehntelang haben die polnischen Kommunisten ihm das nicht verziehen. Jahrzehntelang war der Marschall für sie ein faschistoider Diktator, galt die zweite polnische Republik, die Pilsudski prägte wie kein anderer und deren Entstehung jetzt hochoffiziell gefeiert wird, für sie als kapitalistischer, korrupter Ausbeuterstaat. Jetzt scheinen auch Polens Kommunisten aus der roten Straßenbahn aussteigen zu wollen. Erstmals seit 1945 wird in Polen nun der 70.Jahrestag der Republikgründung offiziell gefeiert. Aus den offiziellen Stellungnahmen klingt sogar eine positivere Beurteilung Pilsudskis heraus.
Wie schwer dies Polens Kommunisten gefallen sein muß, zeigt ein Blick auf die Person des Marschalls. Nicht nur, daß er sich vom Sozialismus lossagte, daß er sich 1926 mit einem Gewaltstreich an die Macht putschte und in der Folge linke Oppositionelle einkerkern ließ, er war auch noch der profilierteste Verfechter einer antisowjetischen polnischen Außenpolitik. 1926 bremste er mit seinem Sieg über die Rote Armee die sowjetischen Hoffnungen, die Revolution bis nach Westeuropa tragen zu können.
Die schleichende Rehabilitierung des Marschalls ist nicht zuletzt durch den Druck der Gesellschaft zustande gekommen. So sehr Pilsudski bisher offiziell geschmäht wurde, so sehr wurde er von großen Teilen der Bevölkerung in den Himmel gehoben. Zum zweiten aber ist es auch ein Zeichen dafür, daß Polens Kommunisten erkennen müssen, daß sie den Anspruch auf ideologische Führung nicht länger im alten Stil allein aufrechterhalten können.
Die Botschaft ist einfach und klar: Daß sie die bessere Politik machen, daß es bei ihnen gerechter zugeht als anderswo, das können die kommunistischen Politiker der polnischen Bevölkerung angesichts der realen Verhältnisse und Konflikte nicht mehr weismachen. Aber daß sie die besseren Patrioten sind, das wenigstens soll ihre Macht noch rechtfertigen.
Klaus Bachmann
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