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Matrosendienst für „Bed and Breakfast“

Seit einer Woche protestieren vier Seebetriebsräte mit einem Hungerstreik gegen die Einführung eines „zweiten Schiffsregisters“ / ÖTV: „15.000 von 17.000 Seeleuten würden arbeitslos“ / Auch in anderen Hafenstädten Fastenaktionen  ■  Aus Hamburg Kai von Appen

Uniformen beherrschen kurzfristig das Bild vor dem Hapag -Lloyd-Gebäude im Hamburger Freihafen. Seit einer Woche halten dort vier Seebetriebsräte der Reederei ihr Büro besetzt - aus Protest gegen die von der Bundesregierung geplante Einführung eines „Zweiten Schiffsregisters“. Sie befinden sich im Hungerstreik. Die Uniformierten - eine Abordnung der Hamburger Wasserschutzpolizei - drohen jedoch nicht mit Räumung, sondern erklären den Seeleuten ihre politische Unterstützung.

Die Befürchtungen der Seeleute erläutert Jürgen Söncksen, Hapag-Lloyd-Seebetriebsratsvorsitzender, der sich auf eine Expertenanhörung im Deutschen Bundestag bezieht: „Die Anhörung hat zweifelsfrei ergeben, daß mindestens 15.000 der verbliebenen 17.000 deutschen Seeleute durch dieses Gesetz ihren Arbeitsplatz verlieren werden.“ Nach dem Zweitregister -Entwurf wird künftig den Reedern ermöglicht werden, statt der tarifgebundenen deutschen Seeleute ausländische Arbeitskräfte zu Arbeits- und Heimatlohnbedingungen anzuheuern. Die Stahlkolosse zu Wasser würden dann zwar noch den schwarz-rot-goldenen Lappen tragen - zum Tragen käme jedoch beispielsweise philipinisches Arbeitsrecht. Guntram Wille von der Abteilung Seeschiffahrt der ÖTV äußert dazu: „Es gibt heute schon auf Billigflaggenpötten Chinesen, die für 'bed and breakfast‘ arbeiten.“

Die Polizisten sind nicht die einzige Delegation, die in den letzten Tagen die Hungerstreikenden der zehn großen bundesdeutschen Reedereien in Hamburg, Bremerhaven, Lübeck, Bremen und Cuxhaven einen Besuch abgestattet haben. Jürgen Söncksen: „Die Kollegen von den Werften, aus dem Hafen und selbst aus anderen Branchen haben kapiert, daß das Zweitregister nur ein Pilotprojekt ist - daß es auch ihnen an den Kragen gehen könnte, wenn 1992 der EG-Binnenmarkt kommt.“

Dirk Fischer, der CDU-Bundestagsabgeordnete von der Waterkant, ist in den letzten Monaten zum Hauptfeind der Seeleute und ihrer Gewerkschaft avanciert. Der Politiker, dem die ÖTV attestiert, Schiffe überhaupt nur von Parties zu kennen, aber von der eigentlichen Seefahrt keine Ahnung zu haben, hatte Anfang des Jahres die Gesetzesinitiative zum „Zweitregister“ eingebracht.

Am letzten Donnerstag abend bei einer Aktion vor dem Hamburger Rathaus hatten Seeleute zur Unterstützung des Hungerstreiks ein Rettungsfloß mit der Aufschrift „SOS! Rettet die Seefahrt!“ aufgeblasen, um die Hamburger ParlamentarierInnen anläßlich ihrer Bürgerschaftsdebatte zur Ablehnung dieses sogenannten „Billigflaggenregisters“ zu bewegen - vergeblich: Der Antrag der Grün-Alternativen wurde abgelehnt.

„Für uns ist der Hungerstreik die letzte Möglichkeit, auf die bedrohliche Lage aufmerksam zu machen“, begründen die Seebetriebsräte den ungewöhnlichen Schritt. Man hätte alle anderen Versuche wie Gespräche, Resolutionen, Petitionen, Demonstrationen und Protestaktionen ausgeschöpft, ohne daß die Bonner Regierung von ihrem Vorhaben abgerückt wäre.

Wie real die Ängste der Seeleute sind, demonstrierte kürzlich die Hamburger Reederei „DFDS“. Trotz der aufgrund staatlicher Subventionierung vor einem Jahr gemachten Zusicherung, nach der Ausflaggung des zwischen Hamburg und Harwich pendelnden Fährschiffes „Hamburg“ weiterhin deutsche Arbeitsbedingungen gelten zu lassen, wurden vor zwei Wochen 43 Seeleute entlassen. Perspektivisch soll die gesamte Besatzung ausgetauscht und durch billigere sogenannte „750 -Dollar-Portugiesen“ inklusive Lohnnebenkosten ersetzt werden. Die Gewerkschaft ÖTV will in den kommenden Wochen eine norddeutsche Großaktion organisieren, zu der die gesamte Küste mobilisiert werden soll - und über die Bonner Oppositionsparteien eine „Normenkontrollklage“ beim Bundesverfassungsgericht einreichen. Die Grünen haben für diese Vorhaben „alle erdenkliche Unterstützung“ zugesichert, die Sozialdemokraten signalisierten zaghafte Beteiligung.

Auch von den bundesdeutschen Schiffen in Übersee treffen immer mehr Reaktionen ein. Söncksen bleibt bei der Lübecker TT-Saga-Line, wo sich zwei Besatzungsvertreter seit einer Woche von Saft und Kraftbrühe ernähren, wollen sich die Seeleute der „Peter Pan“ und „Nils Holgerson“ auf Fahrt geschlosssen an dem Hungerstreik beteiligen. Aber auch Aktionen wie die Blockade des Billigflaggenschiffes „Hamburg“ sind derzeit im Gespräch: „Obwohl viele Kollegen bereits auf dem Zahnfleisch gehen, haben wir den Beschluß einstimmig gefaßt.

In den kommenden Wochen wird sich entscheiden, ob es auch noch in den nächsten Jahren eine bundesdeutsche Seeschiffahrt geben wird“, so Söncksens Einschätzung über die Bedeutung der Auseinandersetzung, während er sich ein Glas Multivitaminsaft eingießt: „Mein Mittagessen.“

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