: Kohl: Völkermord an Juden nicht relativieren
New York/Bonn (ap) - Ebenso wie Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat sich auch Bundeskanzler Helmut Kohl gegen Versuche gewandt, den Völkermord der Nationalsozialisten an den Juden durch Vergleiche mit anderen Greueltaten zu relativieren. Ohne die unter bundesdeutschen Historikern zu diesem Thema geführte Auseinandersetzung anzusprechen, sagte Kohl gestern abend in New York bei einem Essen zu Ehren des Leiters des Jüdischen Dokumentationszentrums in Wien, Simon Wiesenthal, die Deutschen müßten mit der schrecklichen Tatsache leben, daß unter der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus vor allem den Juden unsagbares Leid zugefügt worden sei und daß das Verbrechen dieses Völkermordes ohne Beispiel sei in seiner kalten, unmenschlichen Planung und in seiner tödlichen Wirksamkeit.
„Gleichwohl hat es immer wieder Versuche gegeben, diese Tatsache zu relativieren - beispielsweise durch den Hinweis darauf, daß damals auch andere Menschen verfolgt wurden wegen ihrer politischen Überzeugung oder wegen ihres religiösen Bekenntnisses“, sagte Kohl nach seinem in Bonn veröffentlichten Redetext. Wer so argumentiere, der übersehe oder leugne, daß der Haß gegen die Juden tiefer gegangen sei.
Kohl erinnerte daran, daß der Antisemitismus zum Kern der nationalsozialistischen Ideologie gehört habe. Er sei nicht nur ein Herrschaftsinstrument unter vielen gewesen und schon gar nicht eine eher zufällige Nebenerscheinung der Diktatur. Spätestens nach den verharmlosend als „Kristallnacht“ bezeichneten Pogromen habe das wirklich jedem bewußt werden müssen. „Aus heutiger Sicht fällt es schwer zu begreifen und es bleibt für uns eine Ursache tiefer Scham -, daß am 9. und 10. November 1938 die allermeisten Deutschen in der Öffentlichkeit geschwiegen haben“, sagte der Kanzler.
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