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Der Ball liegt im anderen Lager

■ Sam'an Khoury über die Algier-Deklarationen und die innere Stärke der PLO

Der palästinensische Nationalrat hat auf seiner 19.Sitzung in Algier bedeutsame Resolutionen angenommen, die ihre Auswirkungen auf den Kampf des palästinensischen Volkes für seine unveräußerlichen Rechte haben werden. Der Inhalt der Beschlüsse war weder für die an der Debatte beteiligten Palästinenser noch für die internationale Gemeinschaft überraschend. Doch sie sind geeignet, die gegenwärtige Sackgasse bei den internationalen Bemühungen zur Lösung des Palästinenser-Problems zu überwinden.

Das Palästinenserproblem, wie es von den Palästinensern selbst gesehen wird, beinhaltet das Recht des Volkes auf seine Existenz sowie ein freies Leben in seiner Heimat, während zahlreiche Kräfte in aller Welt, von brüderlich -arabischen bis zu den von den USA angeführten imperialistischen Staaten, versuchen, den Palästinensern ihr Recht auf nationale Selbstbestimmung vorzuenthalten. Diese Versuche haben in den letzten acht Jahrzehnten unterschiedliche Formen angenommen, folgen jedoch alle dem einen Ziel, jedwede Form unabhängiger Existenz des palästinensischen Volkes zu verhindern.

Die Bestrebungen, einen unabhängigen Staat unter einer Führung eigener Wahl zu gründen, war ein ständiger Angriffspunkt der Gegner der Palästinenser. Jeder Vorwand wurde von den USA, Israel und ihren Verbündeten im Nahen Osten genutzt, den Druck auf die Palästinenser zu verstärken, anstatt die legitimen Rechtes des Volkes anzuerkennen. Jeder Fehler, der im Zuge des langen und opferreichen Kampfes gemacht wurde, diente daszu, die Ziele des Kampfes selbst zu diskreditieren.

Die Intifada, der jetzt ein Jahr währende Palästinenser -Aufstand, hatte bislang wenig Auswirkungen auf die Rolle der internationalen Gemeinschaft, die an einer Friedenslösung im Nahen Osten interessiert ist. Die Unabhängigkeitserklärung des Nationalrats richtet nun eine klare Botschaft an Freunde und Gegner, daß weder politische oder diplomatische Manöver noch militärische Macht die Palästinenser von ihrem Ziel eines eigenen Staates abbringen werden.

Die Resolution über die Bildung einer provisorischen Regierung spricht die gleiche Sprache. Eine solche Regierung wird die Stellung der PLO als einzig legitime Vertretung der Palästinenser stärken. Sie ist eine klare Absage an diejenigen, die immer noch das Recht der Palästinenser auf die Wahl einer eigenen Führung umgehen wollen.

Das Votum für die Ausrufung der Unabhängigkeit und die freudige Zustimmung in den besetzten Gebieten zeigt den breiten Konsens unter den Palästinensern sowie zwischen der Bevölkerung und ihrer Führung.

Die dritte Resolution über das politische Programm enthält eine direkte Herausforderung der internationalen Gemeinschaft. Die Annahme aller UNO-Resolutionen, einschließlich 242 und 338, gekoppelt mit dem Recht auf Selbstbestimmung, ist ein zusätzlicher Indikator für die Stärke der Palästinenser, da zum ersten Mal in der Geschichte ein Nationalrat eine Entscheidung nicht nach dem Konsens-, sondern nach dem Mehrheitsprinzip angenommen hat. Diejenigen, die dagegen gestimmt haben, wollen diese Beschlüsse nicht unterlaufen. Darin zeigt sich zum einen der stärkere Bezug auf demokratische Umgangsformen, zum andern die Fähigkeit palästinensischer Vertreter, die anstehenden Probleme ohne Rigidität zu behandeln.

Mit einem großen Maß an innerer Stärke und Realismus hat der Nationalrat den politischen Stillstand sowohl innerhalb der PLO als auch in der internationalen Arena überwunden. Der PLO kann nicht länger vorgeworfen werden, keinen „Schritt vorwärts“ zu machen, oder „kein klares Programm“ zu haben - Vorwände, die über Jahre hinweg von denen benutzt wurden, die gegen die Rechte der Palästinenser sind.

Jetzt liegt der Ball in einem anderen Feld. Die USA und Israel müssen nun einen ähnlich gigantischen Schritt machen, wenn es sie mit dem Friedensprozeß ernst meinen.

Sam'an Khoury ist freier Journalist, Mitglied des Exekutivkomitees des „Palästinensischen Journalistenverbandes“ in den besetzten palästinensischen Gebieten und hat mehrfach in israelischen Gefängnissen gesessen.

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