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Grüne Spaltung in Erlangen

Kommunalwahlen 1990 mit „Grüner Realo-Liste“ / Hauptinitiator steht im Verdacht, Parteigelder veruntreut zu haben / Kontobelege verschwunden / Antrag auf Auflösung des gesamten Kreisverbands Erlangen-Höchstadt  ■  Aus Erlangen Bernd Siegler

Bei den Kommunalwahlen 1990 soll es in Erlangen eine „Grüne Realo-Liste“ als Abspaltung der derzeit im Stadtrat mit drei Mandatsträgern vertretenen Listenverbindung „Die Grünen“ / „Grünen Liste“ geben. Die Initiative hierfür geht von Stadtrat Dieter Pömsl aus, der im Verdacht steht, Gelder der Partei „Die Grünen“ bzw. der „Grünen Liste“ (GL) veruntreut zu haben. Am Wochenende muß sich der bayerische Landesvorstand der Grünen mit dem Finanzgebahren von Pömsl beschäftigen. Von sechs Parteimitgliedern wird der Landesvorstand zudem aufgefordert, beim Landesschiedsgericht die Auflösung des gesamten grünen Kreisverbands Erlangen -Höchstadt zu beantragen, da dieser sich bisher standhaft geweigert hat, die finanziellen Unregelmäßigkeiten unter die Lupe zu nehmen.

Seit 1977 gibt es in der Siemens-Stadt Erlangen die „Grüne Liste“, eine eigenständige lokale Gruppierung ohne Parteistatus. Sie erobert 1978 ein Mandat im Erlanger Stadtrat. Zwei Jahre später gründet sich in der Universitätsstadt der Kreisverband der „Grünen“. Für die Kommunalwahlen 1984 bilden beide Gruppierungen eine gemeinsame Liste und ziehen mit drei Vertretern in den Stadtrat ein. Sie bilden fortan das Zünglein an der Waage, da die SPD lediglich 24 der 51 Sitze gewinnt. In der Folge macht die dreiköpfige Fraktion eher durch interne Querelen und inhaltliche Kehrtwendungen von sich reden als durch aktive Kommunalpolitik. Ab 1987 forciert Erlangens SPD -Oberbürgermeister Hahlweg seine Bemühungen um eine „breite Mehrheit“ und eine Zusammenarbeit mit CSU und FDP. Spätestens seit am 29.10.1987 ein CSU-Vertreter zum dritten Bürgermeister gewählt wurde, hat die Fraktion der „Grünen / Grüne Liste“ ihre Bedeutung verloren. Jetzt droht die dreiköpfige Fraktion im Stadrat auseinanderzubrechen. Kurz nachdem Pömsl von der Vollversammlung der GL zur in Erlangen noch üblichen Rotation aus dem Stadtrat aufgefordert wird, geht er mit seinem Aufruf für eine Grüne Realo-Liste bei den nächsten Kommunalwahlen 1990 hausieren. Er lehnt eine Rotation ab und wirft seinen beiden KollegInnen mangelnde Kompromißfähigkeit und unsinnigen Konfrontationskurs gegenüber der Mehrheitsfraktion der SPD vor.

Doch bevor es zur Spaltung kommt, muß sich der Landesvorstand überlegen, ob er beim Landesschiedsgericht eine Auflösung des Kreisverbands beantragt. Einer der Antragsteller ist Theo Ebert, ehemals Stadtrat der GL. Schon seit Jahren versucht Ebert die Frage auf allen bayerischen Parteiebenen klären zu lassen, für welche Zwecke Dieter Pömsl vom Konto der GL im Zeitraum vom 8.11.1983 bis zum 9.1.1985 8.500 DM abgehoben hat. Das Konto der GL wird aus Spenden an die Partei „Die Grünen“ gespeist, die als steuerpflichtige Parteispenden der Nachweispflicht des Parteiengesetzes unterliegen. Ein solcher Nachweis jedoch fehlt völlig. In der Regel handelt es sich dabei um Barabhebungen von Pömsl oder dessen damaliger Freundin. Erste Kassenprüfungsversuche scheiterten daran, daß alle Kontounterlagen über den fraglichen Zeitraum verschwunden waren. Da Pömsl einem entsprechenden Beschluß nicht nachkommt, besorgt Ebert die Kopien der Belege und leitet sie an die Kassenprüfer der GL weiter. Diese erklären lapidar, sie wären in Gesprächen (!) mit Pömsl zu der Auffassung gekommen, daß die fraglichen Gelder „den Intentionen der Spender entsprechend verwendet worden“ seien. Ebert informiert im September 1986 vier Mitglieder des Kreisvorstands und ein Mitglied des Landesvorstands. Nichts geschieht. Ein Antrag Eberts auf Einleitung eines Parteiordnungsverfahrens gegen Pömsl wegen des Verdachts der Spendenmanipulation bzw. Veruntreuung von Parteigeldern wird auf der Mitgliederversammlung der Grünen am 20.10. d.J. abgelehnt. Noch vor kurzem hat sich der Kreisverband mit der Drohung des Beitragsstreiks an einer Kampagne gegen den Bundesvorstand der Grünen wegen unsauberer Kassenführung beteiligt.

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