Wege gegen den „Gottesstaat“

Alle Friedensgespräche zwischen der sudanesischen Regierung und der Guerilla der SPLA sind an einer Frage gescheitert: an den islamischen Gesetzen. Das Abkommen zwischen DUP und SPLA sieht nun vor, dieses leidige Problem aus der Agenda der Regierung zu streichen und einer Verfassungskonferenz zu übertragen, die im nächsten Jahr zusammentreten soll und an der sich auch die SPLA beteiligen würde. Mit anderen Worten heißt dies: Ohne Verzicht auf einen islamisch verfaßten Staat wird die SPLA keinen Friedensschluß eingehen.

Das Diktat der islamischen Hand- und Fußabhackgesetze durch den späten Alleinherrscher Numeiri hatte 1983 den Ausbruch des zweiten südsudanesischen Bürgerkrieges mitverursacht. Als Zehntausende von Demonstranten, fast alle Muslime, im Frühjahr 1985 seinen Rücktritt durchsetzten, war die Abschaffung des „Scharia law“ einer der mobilisierenden Slogans. Der gegenwärtige Premierminister Sadiq al-Mahdi ging 1986 aus den Wahlen nicht zuletzt deswegen als Sieger hervor, weil er die Streichung der islamischen Strafgesetze auf seine Fahnen geschrieben hatte. Doch kaum an der Macht, kündigt er an, daß Numeiris verhaßte Gesetze nicht etwa durch ein laizistisches Recht abgelöst werden könnten, sondern nur durch „bessere“ islamische Gesetze.

Der nichtislamische Süden, dessen Elite mehrheitlich christlich ist, während die Stammesvölker ihre eigenen Religionen pflegen, fühlte sich vor den Kopf gestoßen; die nordsudanesische städtische Elite, die Numeiri gestürzt hatte, verraten. Vollends wie eine Umkehr der Geschichte erschien es, als Sadiq al-Mahdi im Mai dieses Jahres die Muslimbrüder in die Regierung aufnahm. Deren Führer, Hassan at-Turabi, schon unter Numeiri und jetzt wieder unter al -Mahdi zum Justizminister und Generalstaatsanwalt erhoben, legte im September die genau gleichen, sogar leicht verschärften Gesetze vor, die er schon 1983 für Diktator Numeiri verfaßt hatte. Unter Abwesenheit der südsudanesischen und kommunistischen Abgeordneten wurden die Gesetze durch das Parlament beraten. Vom neuen Geist des Islam, der eine moralische Wiedergeburt der Nation und ihre Befreiung vom „westlichen Imperialismus“ ermöglichen soll, war in der Debatte wenig zu spüren. Die Parlamentarier, privat meist Gegner der Scharia, sofern sie nicht Muslimbrüder sind, sprachen statt dessen davon, die harten Gesetze würden die zunehmende Kriminalität bekämpfen helfen.

Trotzdem gelang es, durch ein Manöver die endgültige Verabschiedung der Gesetze hinauszuschieben. Eine Kommission wurde bestimmt, die mit Vertretern der Regierungskoalition besetzt wurde. Sie soll nicht nur die Vorlagen beraten, sondern auch die Alternativen prüfen, zu denen sich viele Parlamentarier nicht ohne weiteres öffentlich bekennen mochten.

Sadiq al-Mahdi, der sich weiterhin alle Optionen offenhält, und Fundamentalistenführer Hassan at-Turabi, sein Schwager, lügen, wenn sie behaupten, die Einführung der islamischen Gesetze stelle kein Problem für die religiösen Minderheiten dar - immerhin ein Drittel der Bevölkerung -, weil der Südsudan von ihrer Geltung ausgeschlossen werden soll. Turabi sagte auf Stippvisite in Uganda zur Beruhigung der schwarzafrikanischen Öffentlichkeit, gegen die islamischen Gesetze seien ohnehin nur Kommunisten - Süd- wie Nordsudanesen.

Mit der Verfassungskonferenz will die SPLA-Guerilla den islamischen Staat verhindern; aber auch das duale System ist nicht konsensfähig, das im Norden die Scharia und im Süden eine an die englische Kolonialmacht angelehnte Rechtsprechung umfassen könnte. Ist die Justiz im Süden schon längst zusammengebrochen, ist sie im Norden paralysiert. Nach der Suspendierung der Scharia verurteilen die Gerichte zwar, aber die Urteile werden nicht ausgeführt.

Zudem würde der neue islamische Staat den Nichtmoslems den Zugang zu den höchsten Staatsämtern verwehren, und jeder Moslem, der die Gesetze kritisierte oder, noch schlimmmer, sich zu einer anderen Religion bekehrte - auch der Agnostizismus hat in der Elite des Sudan Einzug gehalten -, machte sich der Gottesbeleidigung oder Häresie strafbar. Im letzten Falle wäre ihm die Todesstrafe gewiß. So daß ein südsudanesischer Ministeröfentlich denunzierte, das neue System würde die Südsudanesen zu Drittklassbürgern degradieren. Gefragt, wer denn die Zweitklassbürger seien, antwortete er, die Frauen der Nordsudanesen. Diese müssen seit geraumer Zeit, wenn sie ein Ausreisevisum wollen, die schriftliche Bewilligung ihres Ehemanns oder eines männlichen Verwandten vorlegen.

Am beabsichtigten dualen Rechtssystem für den Sudan wird auch kritisiert, es sei nicht klar, ob der Schutz der Minderheiten wirklich durchgehalten werde. Und zusätzlich hat sich in den letzten drei Jahren eine gut finanzierte, äußerst eifrige Missionsmaschinerie der Fundamentalisten im Südsudan und unter den südsudanesischen Flüchtlingen im Norden in Gang gesetzt. Sie verbindet etwas Nahrungshilfe für die Opfer des Kriegs mit dem Bekenntnis zum Koran. Während das Christentum eine vom Koran anerkannte Religion ist, steht die Mehrheit der Südsudanesen als „Heiden“ da, die im Prinzip dem Islam unterworfen werden müssen.

Gegen das „Gottesführertum“ Sadiq al-Mahdis, in Konkurrenz zu at-Turabi, verbreitet sich seit Monaten der politische Widerstand unter den Nordsudanesen (fast alle Moslems, die 1985 Numeiri gestürzt haben). Die jüngsten Wahlen in den Vereinigungen der Staatsbeamten, der Rechtsanwälte und anderer freier Berufe haben immer einen Sieg der Laizisten gegen die Kandidaten al-Mahdis und at-Turabis gebracht. Unterstützt wurden sie von der DUP, die noch vor zwei Jahren mit den Muslimbrüdern geliebäugelt hat. Jede politische Kraft im Sudan, die sich vom islamischen Trend zu lösen versucht, hat die Unterstützung der Südsudanesen gebraucht. Deshalb die Friedensinitiative und die Gespräche der DUP mit der SPLA. Ein Manöver? Vielleicht eine Wende.