: Wahres Märchen von einer,...
■ ...die auszog, im Bürgerpark Fahrrad zu fahren / Wer auf dem Fußweg fährt, erwischt wird und Mahnschreiben ignoriert, kann schon mal in den Knast kommen
Es war einmal eine Frau, die fuhr an einem grauen Oktobermorgen des Jahres 1986 durch den Bürgerpark.
Dies ist zunächst mal noch nichts Böses, aber nun: Die Frau fuhr nicht auf einer als Radweg ausgewiesenen Fläche, sondern auf einem Fußweg. Solch buß
geldträchtiges Verhalten rief sofort zwei polizeibeamtete Wegelagerer auf den Plan. „10 Mark oder Personalien“, lautete die Alternative. Die Frau entschied sich mangels Barschaft und Einsichtsfähigkeit für letzteres.
Zeitsprung: Mehr als zwei Jahre sind vergangen, da klingelt es an einem trüben Freitagmorgen im November an der Tür der ordnungswidrigen Radfahrerin. Es ist nicht der Milch- oder Zeitungsmann, der da aufdringlich seinen Fuß in die Tür stellt, es ist einer von drei Polizisten, und die haben eine wichtige Aufgabe zu erfüllen: nämlich die Frau ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Und das kann nach Aktenlage der Dinge nur heißen: Knast.
„Moment mal“, fragt da die Frau, „welche Aktenlage? Und überhaupt, ich habe ein dreijähriges Kind. Wie stellen Sie sich das vor.“ - „Zum ersten“, sagt ein Polizist, „das wissen wir auch nicht, irgendwas mit Bußgeld. Und zum zweiten, das stört nicht,
das nehmen wir einfach mit.“
So mächtiger Staatsgewalt vor der Tür kann die Frau so schnell nichts Entsprechendes gegenüberstellen. Also hinein ins Polizeiauto mit Mutter und Kind und ab zur Ostertorwache. Bevor Mutter von dort für einen Tag Erzwingungshaft ins Frauengefängnis nach Oslebshausen geschafft wird und Kind für den Tag ins Heim kommt, geben sich die Herren des Morgengrauens noch von ihrer menschlichen Seite. Die Frau darf mit dem zuständigen Beamten der Staatsanwaltschaft telefonieren, damit sie wenigstens erfahre, welch böse Tat sie denn büßen soll.
„Absurd“, findet es der Mann. „Mit kanonen auf Spatzen schießen“ - auch das kann er nur bestätigen, „aber was soll ich tun.“ Wenn die Gesetzeslage vom deutschen Beamten Absurdes verlangt, dann eben auch das.
Und Fakt ist nun mal, daß die zur Buße Anstehende sich eben dieser seit zwei Jahren entzogen
hat. Mahnschreiben wurden nicht beantwortet, bei der Post niedergelegte Schriftstücke nicht abgeholt, überhaupt: Die Delinquentin zeichnet sich durch eine beharrliche Mißachtung staatlichen Tuns aus. Was bleibt da noch? Na eben: Erzwingungshaft.
Doch wie sich das Blatt zum Guten wendet. Zuletzt und im Angesicht ihres Sohnes in Polizeigewahrsam erklärt sich die Frau bereit, brav zur Bank zu gehen und bis Dienstag zu überweisen. Die Herren hören es mit Wohlgefallen und entlassen die nun Bußfertige nach zweieinhalb Stunden. Und noch eine gute Nachricht gibt's zum Schluß: Zur Eintreibung der neben dem Bußgeld angefallenen Verwaltungsgebühren in mehr als dreifacher Höhe wird die Radlerin nicht noch einmal Besuch von der Polizei erhalten. Das macht der Gerichtsvollzieher. Und wenn sie noch nicht gestorben sind, dann pfänden sie schon bald.
hbk
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