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Schlechte Filme über gute Menschen

■ Zum Festival des russischen Films (22.-19.11.) im Kommunalkino: ein Gespräch mit dem sowjetischen Filmregisseur Rodion Nachapetov über Kinokultur, Filmverleih und - finanzierung in der Sowjetunion

Vor fast ausverkauftem Haus fand am Mittwoch eine Vorstellung im Kommunalkino Bremen statt: die Deutschlandpremiere des russischen Films „Am Ende der Nacht“ - eine einmalige Vorstellung. Der Film um eine deutsch -russische Männerfreundschaft ist aber bereits an den Weltvertrieb der 20th Century Fox verkauft und wird über diesen Weg wohl irgendwann in den Bremer Innenstadtkinos landen.

Regisseur Rodion Nachapetov, der derzeit mehr oder weniger privat in Bremen weilt, stellte sich am Mittwoch dem diskutierfreudigen Publikum. Bei einer anderen Gelegenheit sprach Roland Mayer mit ihm für die taz über den russischen Film nach den Reformen. Hier einige Auszüge aus dem Gespräch:

taz: Was hat sich nach Glasnost und Perestroika geändert?

Rodion Nachapetov: Tatsächlich gibt es keine oder wenig Veränderungen in der Sowjetunion. Geändert hat sich bislang nur die

Presse. Im gesellschaftlichen Umgang miteinander ist alles beim Alten geblieben. Und es wird immer schwieriger, Geld für einen Film aufzutrieben. Da gibt es zwar Möglichkeiten über Banken oder diverse Fonds, aber da spielen natürlich Privatinteressen und persönliche Beziehungen eine große Rolle.

Bekommt man eher Unterstützung für Filme mit - sagen wir mal - „konformem“ Drehbuch?

Heute weiß man gar nicht mehr, ob ein Drehbuch realisiert werden kann oder nicht. Früher war es so, daß zumindest konforme Filme immer Geld bekommen haben. Ein Dramaturg hat mir z.B. folgende Geschichte erzählt: 'Ich habe ein sehr schlechtes Drehbuch geschrieben. Es war sogar ein sehr, sehr schlechtes Drehbuch. Ich habe es eingereicht, und sie haben es genommen. Wir haben den Film angefangen, aber er wurde nicht besser. Da bin ich zu ihnen hingegangen und habe sie gebeten, mir den Film zurückzu

geben. Das wollten sie aber nicht. Es mag ein schlechtes Drehbuch sein, sagten sie, aber es handelt von einem guten Menschen.‘

So war es früher. Es gab massenhaft schlechte Filme über gute Menschen. Sie waren langweilig, weil sie keinen Wahrheitsgehalt besaßen. Niemand mochte sie.

Wie ist die Situation heute?

Jetzt ist die Situation umgekehrt. Die Regisseurin Kiri Muratow durfte seit 1967 keinen Film mehr veröffentlichen. Sie durfte sie zwar immer drehen, aber alle wurden verboten, sobald sie fertig waren. Jetzt hat man auf einen Schlag alle ihre Filme herausgebracht. Welch paradoxe Situation: Plötzlich wird versucht, alles anders zu machen. Ich weiß nicht, ob das die richtige Methode ist. Bei den Drehbüchern etwa ist plötzlich absolute Spontanität gefragt.

Hat sich auch in bezug auf die finanziellen Strukturen der sowjetischen Filmproduktion etwas geändert?

Jedes Studio hat noch immer ein bestimmtes Jahresbudget, über das es frei verfügen kann. Den eventuellen Gewinn aus einem Film streichen die Studios ein und können damit neue Filme machen.

Früher aber waren die Regisseure direkt beim Studio angestellt. Heute bewerben sie sich gemeinsam mit den Drehbuchautoren beim Studio, d.h. als Regisseur bekommt man heute nur noch Geld, wenn man arbeitet. Und die Studios versuchen, mit dem vorhandenen Geld, soviele Filme wie

möglich zu machen. Sie drücken die Preise, im ganzen Land, so daß für uns die Verdienstmög lichkeiten immer geringer werden.

Werden sowjetische Filme nach Publikumszuspruch beurteilt oder wer bestimmt heute, in welchen Kinos und wie lange sie laufen?

Die Kinokultur in der Sowjetuinion unterliegt katastrophalen Bedingungen. Das rührt zum einen von einer Phase des Gigantismus her, in der man in Rußland Kinos mit drei- oder viertausend Plätzen gebaut hat.

Die Verordnung von oben lautet, daß ein Film in einem Kino nur läuft, wenn er mindestens 60 % verkaufte Plätze erreicht. Für ein, zwei Tage schafft das jeder Film, dann werden aber die meisten abgesetzt und verschwinden im Archiv.

Welcher Film in den Städten überhaupt anläuft, entscheidet die örtliche Verwaltung. Die Parteiführung mischt sich heute nicht mehr in die Programmauswahl ein. Das war früher anders, d.h. die Partei nahm immer Einfluß. Goskino, der große Verleiher, läßt momentan eigentlich alle Filme zu.

Stimmt es, daß in der Sowjetunion die Qualität der im Kino gezeigten Kopien einigermaßen miserabel ist, weil zu wenig Kopien hergestellt werden, die dann durch ständiges Vorführen rasch verschleißen?

Ja. Die Verteilung der Filme läuft miserabel. Für einen Film werden maximal 2.000 Kopien herge

stellt, das ist die Höchstmenge und bei einem so großen Land wie ein Tropfen im Ozean. Die Kopien werden auf die einzelnen Republiken verteilt. Die liefern dann die großen Städte an, der Film wird abgeerntet, dann kommen die kleinen Städte dran und so weiter.

In einem Urlaub, den ich in einem kleinen Dorf verbrachte, habe ich mir einmal „Romeo und Julia“ angesehen. Ich habe den Romeo schon selbst gespielt, so daß man sagen kann, daß ich das Stück kenne. Was ich da aber auf der Leinwand sah, konnte man nicht mehr als Shakespeare-Stück erkennen. Der Film war völlig zerstückelt. Und das ist ein weiteres großes Problem. Der Vorführer hat als einziger das Recht, ohne Einwilligung des Autors an einem Film herumzuschneiden, wenn die Perforation beschädigt ist oder etwas ähnliches. Leider betreiben die Vorführer dabei gleich ihre eigene Zensur und entfernen noch intakte Stücke, die ihnen mißfallen. Aber das größte Problem ist hier wirklich, daß die Filme einfach verschleißen und durch das viele Vorführen zerstört werden. Denn nach wie vor ist es so, daß gerade auf dem Land noch immer eine große Sehnsucht nach Kino herrscht und alle Filme, egal in welcher Sprache, dort großen Zuspruch finden.

Herr Nachapetov, vielen Dank für dieses Gespräch.

Letzter Film des Festivals: „Das buckelige Pferdchen“, Zeichentrickfilm, Sa 16 Uhr, Cinema Ostertor

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