Lovely Rita for President

■ Bundesfamilienministerin Süssmuth soll Bundestagspräsidentin werden / Positive Reaktion von SPD und Grünen / CDU erhofft sich Aufwertung des Amtes / Prof.Gertrud Höhler als Süssmuth-Nachfolgerin im Gespräch

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Aus Bonn Oliver Tolmein

Die Überraschung war gestern mittag perfekt. Selbst die Hauptperson hatte sich noch nicht so weit fassen können, daß es für ein rechtes Lächeln reichte. „Die Entscheidung ist mir sehr schwer gefallen“ war Bundesfamilienministerin Süssmuths erster öffentlicher Kommentar, nachdem ihre Nominierung zur neuen Bundestagspräsidentin bekannt wurde. Zehn Minuten später im Büro des freudestrahlenden CDU/CSU -Fraktionschefs Dregger wurde die Ministerin noch deutlicher: Sie trenne sich nur äußerst schwer von ihrem alten Amt, es habe ihr Spaß gemacht, Ministerin zu sein, aber es gebe Situationen, in denen man nicht nur den eigenen Neigungen folgen könne. „Manchmal wird aus einer Pflicht ja außerdem eine neue Neigung“, erklärte sie noch und begründete ihre auf dringende Bitte von Bundeskanzler Kohl getroffene Entscheidung mit der „Bedeutung des neuen Amtes, die den Ausschlag gegeben hat. Es gibt Situationen, da kann man nicht nein sagen.“

Fraktionschef Dregger, der Tage zuvor das Gegenteil bewiesen hatte, weil er für seine Politik als „deutscher Patriot“, deren „nationalkonservative Elemente nicht wegzuleugnen sind“, frei bleiben wollte, wurde nicht müde Frau Süssmuth zu loben: Sie sei eine „Persönlichkeit, auf die alle Deutschen schauen werden“, sie sei „keine Dutzendware, sondern eine herausragende Politikerin mit Ecken und Kanten“, die „in besonderem Maße zur Integration befähigt ist“.

In Kreisen der CDU-Bundespartei wurde die Entscheidung für die Nominierung Süssmuths verhalten aufgenommen: dem Amt der Bundestagspräsidentin komme in einer Zeit wachsender Partei und Politikverdrossenheit immer größere Bedeutung zu. Ähnlich der Aufwertung des Bundespräsidentenamtes durch Richard von Weizsäcker, sei auch eine Aufwertung des BundestagspräsidentInnenamtes durch Rita Süssmuth gut vorstellbar - zumal dieses Amt keinen Abschied aus der aktiven Parteipolitik bedeute. Vorbild für eine so im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses agierende Rita Süssmuth könnte

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wegs im tagespolitischen Off gestanden habe. Wichtig sei allerdings jetzt vor allem, wer die Nachfolge von Frau Süssmuth im Kabinett antreten wird. Daß nur eine Frau in Frage komme, sei klar. Denkbar, und für das mühselig aufgebaute frauenpolitische Renomee der CDU sehr nachteilig, sei aber, daß es zu einer Rotation innerhalb des Kabinetts komme: die Ministerin für Innerdeutsches Wilms würde dann Frauenministerin und deren Staatssekretär Hennig Minister für Innerdeutsches. Als mögliche andere Nachfolgerin von Frau Süssmuth wurde gestern die Paderborner Professorin Gertrud Höhler genannt. Als katholische Moralistin wäre sie ein Süssmuth-Kontrastprogramm in der Paragraph-218-Frage. Gegen Höhler spricht allerdings, daß sie nicht aus der Fraktion kommt: Die Fraktion sei in den letzten Monaten so oft übergangen worden, daß eine neue, personalpolitische Brüskierung zu erheblichen Unruhen führen würde. In der CDU -Bundestagsfraktion gibt es allerdings kaum profilierte Frauen- und Familienpolitikerinnen: die Abgeordnete Renate Hellwig, hat in letzter Zeit vor allem durch ihren Vorschlag einer Arbeitsdienstpflicht für arbeitslose Jugendliche von sich reden gemacht; die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Roswitha Verhuelsdonk, gehört zum konservativen, katholischen Flügel ihrer Partei. Offizielle Stellungnahmen zur Nachfolge von Frau Süssmuth waren gestern in Bonn nicht zu bekommen. SPD und Grüne äußerten sich positiv über die Person der Kandidatin. Die Grünen hoben die „begrenzten personellen Möglichkeiten der CDU“ hervor (Vennegerts), strichen die Bedeutung von Frauen für die Politik ganz allgemein heraus, „weil sie im politischen Leben nicht in Skandale verwickelt sind“, (Schoppe) und beurteilten die Nominierung Süssmuths als Sieg der „reaktionären Männerclique“, der für die „Frauenpolitik der Bundesregierung Schlimmes befürchten läßt“. (Krieger)