: Bilder aus einer fremden Freundschafts-Stadt
■ Teil II: Verblassende Erinnerungen an die Zeit, in der es noch um „Prager Frühling“ und die Reform der kommunistischen Ideale ging / Initiativen der Bürger für das „gute Alte“, für die Erhaltung der Bauwerke und der Natur
Demonstrationen hunderttausen der in sowjetischen Republiken, in Ungarn, Jugoslawien, Streiks in Polen - es brodelt in den osteuropäischen Ländern, wo auch immer einen Spalt breit der schwere Deckel der Repression von den in der Gesellschaft schwelenden Konflikten gelüftet wird. Eine Ausnahme scheint neben der deutschen DDR nur die CSSR zu bilden.
Kommunistische Ideale
Seit der kurzen Unterbrechung des „Prager Frühlings“ wurde wieder 20 Jahre lang Schweigen eingeübt. Alexander Dubcek mußte nach Italien fahren, um seine Gedanken - wie vorsichtig auch immer - äußern zu können. Er wohnt in einem hoch am Hang gelegenen reichen Viertel der Stadt, abgeschlossen, isoliert. Wer mit ihm Kontakt aufnimmt, riskiert einiges.
„Er hat seine Autorität selbst kaputt gemacht“, sagt ein junger Oppositioneller. Denn Dubcek
hängt immer noch dem Traum einer Reform der Kommunistischen Partei nach. „Wir sind am Ende des kommunistischen Ideals“, ist eher die Stimmung in der derzeitigen Opposition. Zum Beispiel arbeiten alle Tschechoslowaken, die Männer zu 100%, die Frauen zu 98%. So weiß es die Statistik. „Wir kennen den Ausdruck arbeitslos nicht“, lobt der stellvertretende Bürgermeister Pavol Kovac diesen Sachverhalt. „Die Folgen dieses Ideals sind fürchterlich“, sagt eine junge Oppositionelle. Schon beim ersten Stadtspaziergang fällt ins Auge, wie voll die Straßen Bratislavas sind - auch zu den Stunden, wo weder Mittagspause noch Feierabend ist. Menschenströme, die sich hin und her bewegen, vor Geschäften hier und da Schlangen bilden. Von den 42,5 Stunden in der Woche, die gesetzlich als Arbeitszeit festgelegt sind, arbeiten die Menschen nach offiziellen Statistiken 70%. In Wirklichkeit sind es insbesondere bei den An
gestellten der Administration erheblich weniger. Zwei Drittel könnte man entlassen, ist die „persönliche“ Auffassung des stellvertretenden Bürgermei sters. Aber nicht nur die Arbeitsmoral ist kaputt.
Substanz kaputt
Die Handwerker der Tschechoslowakei können auf eine Tradition hoher Qualifikation zurückblicken - die staatliche Organisation dieses Wirtschaftssektors hat die „Liebe zum Detail“ zerstört. Die alten Gebäude sind in einem katastrophalen Zustand. Kaum eine Rohrleitung wurde erneuert, die Kanalisation ist die alte, kaum ein Haus instandgehalten - eine Generation wird nicht wiederherstellen können, was in den letzten 40 Jahren verluderte.
Der Protest gegen die Zerstörung der historischen Werte in der Stadt ist heute auf das engste mit
der Bewegung der Naturschützer verbunden. Der Sozialismus interessierte sich Jahrzehnte lang nicht für die bürgerliche Tradition, das „gute Alte“ war offiziell diskreditiert.
Bürger-Initiativen, Rückbesinnung
Erst in den letzten Jahren, auch nachdem der Slowakei mehr Selbständigkeit von der böhmischen Zentrale in Prag zugestanden wurde, steht Geld zur Restaurierung der Denkmäler der slowakischen Geschichte zur Verfügung. 1991 soll der alte Stadtkern vorzeigbar sein. Denn für 1991 hat Bratislava seine 700-Jahrfeier angesetzt, aus dem 13. Jahrhundert datiert das Stadtprivileg.
Aber heute noch treffen sich Umweltschützer samstags früh, um auf eigene Initiative mitten in Bratislava Dächer stadteigener Häuser zu reparieren - die würden sonst verfallen und abgerissen.
Für die 700-Jahr-Feier soll auch der Platz vor dem historischen Rathaus rekonstruiert werden. Die alten knochigen Bäume sind erst im späten 19. Jahrhundert dazugekommen - sie sollen weg. Aber da sind die Denkmal-und Umweltschützer weniger puristisch - sie haben auf einer Bürgerversammlung vor ein paar Tagen heftig gegen den kahlen Platz und für die Bäume protestiert.
K.W.
wird am Samstag fortgesetzt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen