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Ja, d i e Dörfer stehen noch

Bemerkungen zu einer Dokumentation von Dagobert Lindlau im „ARD-Weltspiegel“ von Sonntag  ■  Von William Totok

Wer die deprimierenden Fernsehbilder am Sonntag abend gesehen hat, die der ARD-Korrespondent Dagobert Lindlau in Rumänien aufgezeichnet hat, um die von Diktator Ceausescu angekündigte Dorfsystematisierung - d.h. die Zerstörung von etwa 8.000 Dörfern - an Ort und Stelle zu überprüfen, wird zugeben müssen, daß die grauenvolle Wirklichkeit in diesem Land die in der Presse der letzten Monate erschienenen Berichte nur bestätigt. Auch dem Korrespondenten der Nachrichtenagentur 'adn‘ muß angesichts dieser Fernsehbilder das Triumphgeschrei in der Kehle steckengeblieben sein, obwohl er vorlaut vermelden ließ - so die DDR-Presse am 20.11. - daß „die Berichte in westlichen Rundfunk- und Presseerzeugnissen über Dorfvernichtungen (in Rumänien) aus Gerüchten und Falschmeldungen“ bestünden. Diese sogenannten „Falschmeldungen und Gerüchte“, von denen auch 'Reuter‘ Ende der vergangenen Woche sprach, beruhen letztlich auf der von Ceausescu höchstpersönlich in diesem Frühjahr angekündigten Dorfsystematisierung. In einer Rede sprach er davon, daß in den nächsten Jahren 548 agroindustrielle Zentren errichtet werden sollen, was soviel bedeutet, daß die umliegenden Dörfer in den Gemeindekern (Zentrum!) integriert, also abgerissen werden. In der offiziellen Parteipresse wurde das Wort „Abriß“ durch den Euphemismus „Auflassung“ (rum. dezafectare) ersetzt, um die geplante Dorfzerstörungsaktion zu verharmlosen. Das ARD-Team machte sich auf die Suche nach den abgerissenen Dörfern in Siebenbürgen und dem Banat, vergaß aber die bereits „systematisierten“ Dörfer um Bukarest herum, die sozusagen als Paradebeipiele für das Prädialprogramm bereits in diesem Sommer in der rumänischen Presse präsentiert wurden. Das heißt, die Bewohner dieser Ortschaften leben schon in neuen Wohnblocks mit Gemeinschaftsküchen und einem gemeinsamen Klo im Hinterhof. Daß das deutsche Dorf Gottlob im Banat vom ARD-Team unversehrt vorgefunden wurde, beruht auf einem Mißverständnis einer Presseagentur, die am 12.August aufgrund eines Berichtes der Parteizeitung 'Scinteia‘ (vom 10.8.88) berichtete, daß die Ortschaft „wegsystematisiert“ werde. In der 'Scinteia‘ heißt es wörtlich, daß das Dorf Wiseschdia (rum. Vizejdia) gänzlich abgerissen würde und daß in Gottlob bloß 36 Appartements errichtet würden, was soviel heißt, daß einige Bauernhäuser niedergewalzt werden, um an ihrer Stelle Wohnblocks zu errichten. In dem in ARD -„Weltspiegel“ ausgestrahlten Film kam auch der Gemeindebürgermeister von Lowrin zu Wort, dem auch die Dörfer Gottlob und Wiseschdia unterstellt sind. Der von den Dorfbewohnern mit dem Spitznamen „Militärpeter“ bedachte Bürgermeister, Petre Militaroiu (ein Apparatschik aus den glorreichen Fünfzigern) verlor kein Sterbenswörtchen über die geplante Vernichtung der Ortschaft Wiseschdia. Übereifrig behauptete er, daß in Gottlob kein einziges Haus abgerissen werde, im Gegensatz zu den Ausführungen in der bereits zitierten Ausgabe der 'Scinteia‘. Der Verwalterin der landwirtschaftlichen Versuchsstation Iancu Cornelia legt das Parteiblatt zudem folgende Sätze in den Mund: „Wir, die Jugendlichen sind vielleicht beweglicher. Wir wissen, daß hier in Lowrin (dem Gemeindezentrum und dem zukünftigen agroindustriellen Städtchen - Anm. W.T.) neue Wohnblocks gebaut werden. Wenn unser Haus aufgelassen wird, werden wir umziehen.

Hätte Dagobert Lindlau auch die bereits systematisierten rumänischen Dörfer in der Umgebung von Bukarest besucht und nicht nur einige Bilder der abgerissenen Stadtteile der Hauptstadt gezeigt, dann wäre der Dokumentarstreifen um vieles interessanter und aufschlußreicher geworden. Wenn in den nächsten Jahren zahlreiche Dörfer der Spitzhacke zum Opfer fallen werden, dann handelt es sich vorwiegend um rumänische Ortschaften und nicht nur um deutsche oder ungarische in Siebenbürgen und dem Banat.

William Totok ist Exilrumäne und Schriftsteller

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