: BGH rügt Rebmanns „Ausnahmezustand“
Bundesgerichtshof: Auf Antrag von Generalbundesanwalt durchgeführte Massenkontrollen im Vorfeld der IWF-Tagung in Berlin waren rechtswidrig ■ Von Jürgen Gottschlich
Berlin (taz) - Die auf Antrag von Generalbundesanwalt Rebmann vom 24.Mai bis 2.Oktober dieses Jahres durchgeführten Massenkontrollen in der BRD und West-Berlin waren nach Auffassung des 3.Strafsenats des Bundesgerichtshofs rechtswidrig. In dem gestern veröffentlichten Beschluß vom 30.September bezeichnete der Strafsenat die Maßnahme in ihrer zeitlichen und räumlichen Ermächtigung als zu weitgehend und mit dem Gesetzeszweck des Paragraphen 111 Strafprozeßordnung als „kaum zu vereinbaren“.
Der Paragraph 111 StPO wurde 1978 als einer der sogenannten Anti-Terrorismus-Paragraphen eingeführt. Er begründet die Einrichtung von Kontrollstellen und Massenüberprüfungen an allen öffentlichen Straßen und Plätzen, wenn ein begründeter Verdacht besteht, daß eine Straftat nach §129a StGB begangen worden ist. Der Paragraph 129a stellt die Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung unter Strafe.
Am 11.August hatte die taz erstmals berichtet, daß der zuständige Ermittlungsrichter am BGH bereits im Mai dieses Jahres einem Antrag Generalbundesanwalt Rebmanns stattgegeben hatte. Danach war die Polizei ermächtigt, Kontrollstellen einzurichten, wann immer sie es unter „polizeitaktischen Gründen“ für geboten hielt. Die Ermächtigung zur Durchführung der Kontrollen galt zunächst bis Juni, wurde dann aber bis zum 2.Oktober, also bis unmittelbar nach Abschluß der Tagung des Internationalen Währungsfonds in Berlin verlängert. Unmittelbar nach Erscheinen des taz-Berichts wies der Sprecher der Bundesanwaltschaft, Prechtel, den Vorwurf zurück, es handle sich bei den Kontrollen um eine Präventivmaßnahme im Vorfeld der IWF-Tagung. Der Freibrief zu polizeilichen Massenkontrollen, an jedem beliebigen Ort jedermann durchsuchen zu dürfen, diene vielmehr der Fahndung nach den mutmaßlichen Mitgliedern der RAF, Horst und Barbara Meyer.
In der Rückschau stellte sich allerdings auch für BAW -Sprecher Prechtel die Aktion seiner Behörde etwas anders dar. Selbstverständlich, so äußerte er sich gestern gegenüber der taz, habe der EG-Gipfel im Juli in Hannover und die IWF-Tagung Ende September in Berlin für den Zeitraum der Verhängung des Ausnahmerechts eine Rolle gespielt. Schließlich müsse sich die Bundesanwaltschaft überlegen, „wann und wo anschlagsrelevante Veranstaltungen stattfinden“, in deren Verlauf RAF-Mitglieder auftauchen könnten. Nichtsdestotrotz sei die Maßnahme keine Prävention, sondern klassische Repression im Zuge eines laufenden Ermittlungsverfahrens gewesen. Warum die Kontrollen dann unmittelbar nach der IWF-Tagung beendet wurden, weiß Prechtel angeblich nicht. In den 132 Tagen und Nächten, in denen der Ausnahmezustand in Kraft war, wurden zahlreiche Kontrollen durchgeführt und die Daten zahlreicher Bürger gespeichert, ohne daß die Massenkontrollen im Sinne des Fortsetzung Seite 2
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angeblich zugrundeliegenden Ermittlungsverfahrens gegen die „Familie Meyer“ irgendeinen Erfolg gehabt hätten.
Formal stellt die gestern veröffentlichte Auffassung des BGH keine rechtsverbindliche Entscheidung dar. Die Stellungnahme des 3.Senats erging aufgrund einer Beschwerde, die ein Bürger erhoben hatte, nachdem er an einer Kontrollstelle in Gelsenkirchen durchsucht worden war. Über diese Beschwerde hat formal der Ermittlungsrichter zu entscheiden, der die Ermächtigung für die Polizei ausgestellt hat. Obwohl diese konkrete Entscheidung noch aussteht, geht der Sprecher des BGH davon aus, daß der Ermittlungsrichter sich kaum gegen die Rechtsauffassung des ihm übergeordneten Senats stellen wird. Sonst wäre der 3.Strafsenat auch förmlich zuständig, seine vorab bekundete Rechtsauffassung zu bekräftigen.
Daß diese Rechtsauffassung allerdings faktisch verbindlich ist, bestätigte gestern auch die Bundesanwaltschaft. Man müsse wohl, so Prechtel, zukünftig mehr tun, als dies bei dem vorherigen Beschluß der Fall gewesen sei.
Was mit den Daten geschieht, die im Zuge der jetzt für unzulässig erklärten Massenkontrollen erhoben wurden, ist weitgehend unklar. Der Sprecher des Bundesgerichtshofs konnte auch nur mutmaßen, daß eine Löschung allein auf Antrag des jeweils Betroffenen erfolgen würde.
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