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AUFERSTANDEN AUS ARCHIVEN

■ Historische Filmreihe in der Urania

Das deutsche Fernsehen ist auf den Antiquitätstick gekommen, filmisch gesehen. Waren bislang die TV-Anstalten fleißige Mitschwimmer bei der Produktion von Dokumentar- und Spielfilmen, so haben sie in jüngster Zeit ihr Herz für alte Filme entdeckt. Aber zwischen dem Entdecken einer stillen Leidenschaft und dem Restaurieren von maroden Alt-Filmen bis zu ihrer Ausstrahlung im Fernsehen ist es ein langer und mühevoller Weg.

Bei dem Feuerwerk einer einmaligen Ausstrahlung wiederhergestellter Filme, die manchmal bereits verschollen geglaubt waren, darf es nicht belassen werden. Es kann nicht darum gehen, aufwendige Restaurierungen einmalig wegzusenden, ohne daß das Ausgangsmaterial (nämlich der Film bzw. das restaurierte Negativ) für weitere Verwendung und Präsentationen zugänglich wäre. Neben einzelnen Redakteuren bei den TV-Anstalten existieren in der Bundesrepublik eine Handvoll halbstaatlicher Institutionen (Filmarchive), die sich von ihrer Grundaufgabe her um die Erhaltung und Rettung alter Filme verdient machen.

Aus diesem Grund veranstaltet die Stiftung Deutsche Kinemathek (SDK) eine Filmreihe zum Thema „Bildschirm-Kino -Geschichte“. Mit den ausgesuchten internationalen Beispielen, allesamt nicht derartige Gassenhauer wie Georgio Moroders kunterbunte Fassung von Fritz Langs „Metropolis“, will die SDK die restaurierten Einzelkämpfer aus den Fernsehgesellschaften öffentlich ein wenig aufwerten und die Experten aus den Archiven mit denen aus den Sendern an den filmhistorischen Stammtisch bringen. Denn zu oft existiert das Arbeitsprinzip des unkontrollierten Nebeneinander, ohne daß der eine den anderen wahr- und ernstnimmt. So dient diese Veranstaltung auch der Kontaktpflege; als Hintergrund soll der Öffentlichkeit verdeutlicht werden, daß die glänzenden Neuproduktionen von heute auch ganz schnell zu den pflegebedürftigen Filmschätzen von morgen werden können. Bei der Fülle von anstehender Arbeit tut konzertiertes Vorgehen mit ausreichender Ausstattung dringend not. Allein durch die ökonomischen Zwänge (eine Rekonstruktion alter Filme ist in der Regel genauso teuer wie eine Neuproduktion des ursprünglichen Sujets) muß aus den filmhistorischen Sololäufern ein funktionierendes Team eigenständiger Individualarbeiter werden, gegenseitige Unterstützung und Mithilfe und anschließende Verbreitung vorausgesetzt.

In den nächsten Tagen zeigt die SDK in der Urania einige wenige Beispiele für die aufwendigen Restaurierungsarbeiten von alten Filmen. Dabei gelang es, so der Mitinitiator Martin Koerber, kompetente Fachleute zu den einzelnen Filmbeispielen zu finden, die in einer kurzen Einführung Besonderheiten des Films und Schwierigkeiten und Restaurierungsschritte erläutern.

Das Programm beginnt am heutigen Donnerstag mit einer konzertanten Aufführung von „Der lebende Leichnam“. Die Filmversion von Tolstois dramatischer Vorlage, adaptiert von Fedor Ozep, wird vom Kölner Rundfunkorchester musikalisch begleitet. Ein kleiner Leckerbissen. Der Film wurde in den späten zwanziger Jahren inszeniert unter dem prägenden Einfluß der sowjetischen Revolutionsfilme a la Eisenstein und Pudowkin. Jener spielt in dem genannten Film auch die Hauptrolle des Fedja Protassow, der zum Ende im Gerichtssaal sich eigenhändig und ritterlich erschießt, um seiner Frau ein Zusammenleben mit deren Liebhaber zu ermöglichen. Die damaligen Moralgesetze ergeben ein Spiegelbild der bürgerlichen Gesellschaft.

Am Samstag wird „The Last Command“ präsentiert, ein selten gezeigtes Kleinod. In dem von Josef von Sternberg realisierten Stummfilm soll ein Ex-General aus dem Zarenreich im Massenheer der Filmstudios von Hollywood eben jene real durchlebte Rolle für eine Filmproduktion spielen. Doch die Filmproduzenten wußten nichts von der Herkunft des so teuflisch täuschend spielenden Statisten. Und so ergreift der Komparsengeneral beim Erklingen der russischen Nationalhymne die Staatsfahne und führt sein (filmisch reales) Soldatenheer in die Schlacht. Dort bricht der letzte General nach dem letzten Aufbäumen tot zusammen.

Emil Jannings erhielt für seine kämpferische Darstellung in diesem Spielfilm einen der ersten Oscars, die an Schauspieler vergeben wurden. Jannings war in Deutschland bekannt geworden durch seine Verkörperung des alternden Portiers in dem Klassiker „Der letzte Mann“. Dadurch auch in Amerika zu Berühmtheit gelangt, wechselte er nach Hollywood. „The Last Command“ war einer seiner letzten Erfolge; in den darauffolgenden Jahren wurde der Tonfilm eingeführt und Jannings mußte wegen seiner fürchterlichen Sprachkenntnisse den Schauspieldienst in den Staaten quittieren. Er kehrte nach Deutschland zurück, das sich gerade anschickte, ins braune Zeitalter zu stürzen. Seine dortigen Schauspieleinlagen sind nur noch ein schmieriger Abklatsch früherer Leistungen.

Am Sonntag wird eine filmische Anklageschrift gegen den Krieg vorgeführt: „Westfront 1918“. Die vermeintlichen Kriegshelden, die selbst nur froh sind, den Krieg solange überlebt zu haben, werden zu Verlierern durch die Wirren des Schicksals. Den Fängen des Krieges entkommt keiner.

Das alles ist garantiert in schwarz-weiß zu sehen, weil: das Leben ist farbig, Kino hingegen schwarz-weiß! Diesmal sogar noch musikalisch unterlegt. Hingehen!

mosch

Das Programm mit täglich wechselnden Filmtiteln läuft bis Sonntag in der Urania, Kleiststraße 13, genau zwischen U -Bahn Wittenbergplatz und Nollendorfplatz. Genauere Daten und Filmtitel stehen wie immer im Programmteil.

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