Die großen Umweltsünder läßt man laufen

Landesbezirk Hamburg der Gewerkschaft der Polizei berät über Umweltkriminalität / Experten ziehen negative Bilanz des Umweltstrafrechts / Umweltverschmutzung als Kavaliersdelikt / Erhöhung der Mindeststrafen und Anzeigenpflicht gefordert  ■  Aus Hamburg Kai Fabig

Grüne beklatschen einen Grünen. Das wäre trotz der Flügelkämpfe innerhalb der Öko-Partei erst einmal nichts Ungewöhnliches. Wenn der Grüne aber Otto Schily heißt und die ihm Beifall spendenden Grünen Polizisten sind, kratzt das doch an liebgewordenen Vorurteilen. Zumal Schily die versammelten Ordnungshüter nicht mit einem Plädoyer für das staatliche Gewaltmonopol erfreute, sondern sich für eine Verschärfung des Umweltstrafrechtes einsetzte.

Diese Forderung sowie die Einführung einer Anzeigepflicht für Behördenmitarbeiter bei ihren bekannt gewordenen Umweltdelikten standen im Mittelpunkt des vom Landesbezirk Hamburg der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Anfang dieser Woche veranstalteten Symposiums zum Thema „Polizei und Umweltkriminalität“.

Ohne Ausnahme zogen die eingeladenen Fachleute dabei eine negative Bilanz des 1980 ins Strafgesetzbuch eingeführten Umweltstrafrechtes. Zwar ist die Zahl der erfaßten Umweltdelikte zwischen 1981 und 1987 von 5.844 auf 17.930 gestiegen, und auch die Aufklärungsquote liegt mit durchschnittlich 75 Prozent relativ hoch, zu rechtskräftigen Verurteilungen kam es jedoch nur in 0,4 Prozent aller Fälle. Fast ausschließlich wird umweltverschmutzendes „Alltagshandeln“, wie z.B. das Wegwerfen einer Autobatterie, bestraft, während man die „Großen“ laufen läßt, wie Schily anhand von sechs spektakulären Beispielen nachwies. Ohnehin ist der Großteil der industriellen Umweltverschmutzung legal.

In diesem Zusammenhang wies vor allem der ehemalige Präsident des Bundesgerichtshofs Gerd Pfeiffer auf eine wesentliche Schwäche des Umweltstrafrechts hin. Mit einer Ausnahme sind alle Paragraphen an das Umweltverwaltungsrecht gekoppelt. Das bedeutet, daß die Umwelt kein absolut zu schützendes Rechtsgut darstellt. Während Diebstahl grundsätzlich bestraft wird, ist Umweltverschmutzung erst bei Überschreiten bestimmter Grenzwerte strafbar. Selbst dann aber wird sie eher wie ein Kavaliersdelikt behandelt, beklagte Pfeiffer und verwies auf die niedrigen Mindeststrafen, die selbst bei „schwerer Umweltgefährdung“ nur zwischen drei Monaten und fünf Jahren Freiheitsentzug liegen, während Geldfälscher, Räuber oder Brandstifter mit wesentlich höheren Strafen zu rechnen haben. Er forderte eine deutliche Erhöhung der Mindeststrafen.

Ganz anders sah das Christian Flämig, Chefjustitiar der Chemie-Firma Merck und Vertreter des Verbandes der chemischen Industrie. Er nannte das Umweltstrafrecht insgesamt „kontraproduktiv“. Es kriminalisiere „unvermeidliche Risiken der Technik“ und verhindere Rettungsmaßnahmen in den Unternehmen. Denn den Chemiefacharbeitern würde langsam dämmern, daß sie sich selbst ans Messer lieferten, wenn sie durch eigene Schadensbekämpfung Aufmerksamkeit erregten. Sie seien ohnehin das Opfer einer potentiellen Kriminalisierung durch das Umweltstrafrecht, weshalb ihre Arbeitsmotivation zunehmend nachlasse. Ihnen gehe es nicht anders, als Polizisten, die sich auf Großdemonstrationen vom Staat im Stich gelassen fühlten. Mit dieser Argumentation war aber selbst von Hamburgs kesselgeplagten Polizisten kein Beifall zu ernten. Die beklatschten vielmehr Schilys Forderung, daß statt des Chemiearbeiters die wirklichen Täter, die durch „kalkuliertes Handelns“ die Umwelt verschmutzten, zur Verantwortung gezogen werden müßten.

In der Frage der Anzeigeverpflichtung, wie sie z.B. beim Subventionsbetrug besteht, war es denn Hamburgs Umweltsenator Kuhbier, der einen schweren Stand hatte. Er wolle nicht, daß seine Mitarbeiter generell dem Legalitätsprinzip unterworfen würden, da es die Zusammenarbeit mit der Industrie behindere, wenn die Verpflichtung bestehe, jedes Umweltdelikt an die Strafverfolgungsbehörden zu melden. Für die Umweltdezernate der Polizei ist aber eine Anzeigepflicht deshalb so wichtg, weil sie sonst weiterhin darauf beschränkt bleiben, direkt sicht- oder riechbare Delikte zu verfolgen. Dies sind aber meist die unbedeutenderen. Erst wenn die behördlichen Überwachungsämter erhöhte Emissions- oder Immissionswerte weitergäben, hieß es in verschiedenen Wortbeiträgen, könnte die Polizei auch den großen Umweltverschmutzern auf die Spur kommen.