piwik no script img

Das imperative Mandat des Kiezes

■ Neuauflage des Konflikts Kunstobjekt versus Bürgerwille in Kreuzberg

„Volksentscheide über Kunst, das bringt nichts“, meint Paul Pfarr. „Das sehen Sie beim Streit um Vostell“. Aber nicht dessen zwei Cadillacs, sondern Pfarrs fünf Bronzetröge bewegen seit Monaten die Gemüter am Kreuzberger Marheinekeplatz. Nach langem Streit um den Brunnen vor der Markthalle entschied sich eine meistenteils außerkiezliche Jury Anfang der Woche endgültig für das Modell von Pfarr, der Wasser aus den Trögen über Rinnen in „Blattrippenform“ in ein Becken fließen läßt. Die Bürgervertreter, die sich „imperativ an das Mandat des Kiezes“ gebunden fühlten, enthielten sich der Stimme.

Die interessierten Anwohner im Kiez hatten sich mehrheitlich, so Jurymitglied und Kiezbewohnerin Barbara Rolfes, für den Entwurf der Künstlerinnen Ammann/Glaser/Specht ausgesprochen. Deren Vorschlag, eine mehrteilige Wasserfläche mit einem Wasservorhang über mehrere Stufen, einem Wasserrauschen produzierenden Geräuschstein und einem wasserspendenden „Trinkstein“ befriedigte das Bedürfnis der Anwohner nach Gebrauchswert für den Brunnen.

Dieser Konflikt Kunstobjekt versus Bürgerwillen wird wohl fortbestehen. Das Kunst-am-Bau-Geschenk an das Kreuzberger Volk sorgt seit Monaten für lautstarke Debatten. „Potthäßlich“ befanden die einen den Pfarr-Brunnen, während Bezirksamt und Jury händeringend die künstlerische Unabhängigkeit verteidigten. Mehreren Diskussionen in der Passionskirche folgten nächtelange Debatten in den Kneipen, das Hinzuziehen von SFB, Radio 100 und 'Süd-Ost-Express‘ sowie Beschimpfungen des Baustadtrates. „In SO36 würden Sie so etwas nicht gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzen, Herr Orlowsky!“ hieß es.

Der wiederum versicherte, die Willensäußerungen der Anwohner sehr ernst zu nehmen. Flugblätter kursierten, Protestplakate wurden angeschlagen. „Es bewegt sich was, der Kiez lebt“, freute sich der Wettbewerbsverantwortliche Dirk Müller über den von ihm mitverursachten Aufstand. Offener Streit brach zwischen Kiez und Jury aus. Denn die hatte sich bereits im Frühjahr für Pfarr entschieden, dessen Entwurf in den „desolaten Stadtraum“ Kreuzbergs passe. „Dann wissen wir ja, was Sie von uns halten“, meinten empörte Kiezvertreter in einer Versammlung im Sommer. Sie hatten zunächst für Robert Schmidts Entwurf plädiert, der Füllhörner, Früchte und Fische, aber auch historische Dokumente in Kachelform von Wasser umspülen ließ. „Zu kunstgewerblerisch“, befand die Jury.

Die Erregung der Versammlung dämpfte Werner, „der Dicke“, Orlowsky, mit dem Vorschlag, die „engere Auswahl“ Schmidt, Pfarr und Amann/Glaser/Specht sollten ihre Entwürfe überarbeiten. Dann könne man weiter diskutieren.

Paul Pfarr veränderte also seinen Entwurf: Statt zwei Meter hohe Tröge sind sie jetzt ein Meter achtzig hoch, etwas schräger, und mehr Wasser fließt in ein größeres Becken. „Etwas verspielter,“ meint Kreuzbergs Tiefbauamtsleiter Misch, und: „Wenn wieder Kritik kommt, muß man der Bevölkerung das Kunstwerk plausibel machen und Verständis dafür wecken.“

Zu diesem Zweck wird Paul Pfarr an einem der kommenden Samstage ein 1:1-Modell seines Brunnens auf dem Platz aufbauen und es den Anwohnern vorführen. Das Theaterstück „Bürgerbeteiligung“ geht weiter, die Kulisse verschönert sich.

esch

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen