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KARTOFFELEISEN

■ Dieter Appelt „mit Zeit über Zeit“ in der Galerie Nowald

Kommt man jetzt in den einen Raum der Galerie, die stets nur Platz für einen Künstler, ein Kunstwerk hat, wirken immer noch die Bilder der vorherigen Künstler nach durch die Intensität der jeweiligen Besetzung.

Dann folgt aber unmittelbar die neuerliche Inanspruchnahme durch einen weiteren Versuch, sich des Raumes zu bemächtigen, der diesmal durch ein Arrangement geschaffen wird, das sich nicht einmal aufzählen läßt durch die unzähligen einzelnen Bestandteile. Man könnte sich herausreden mit der Feststellung, daß Dieter Appelt zehn ordentlich gerahmte Fotografien ausgewählt hat, die ihren Proportionen gemäß, vier an der Stirnseite des Raumes, sechs an der Längsseite, in Schulterhöhe des Durchschnittsmenschen hängen.

Man könnte dem gegenüber darlegen, daß auf dem Boden verteilt, gefundene, zylindrische, kartoffelförmige, kugelige, rostige Eisenteile zusammen mit gegossenen, runden, in verschiedenen Größen ebenfalls verrosteten Kugeln liegen, und schließlich erwähnen, daß man letzteren die Rohform noch ansieht, daß sie Gußränder besitzen und Löcher, die durch Luftblasen während dieses Vorgangs entstanden sind. Man muß schließlich erwähnen, daß diese Eisenteile in ihrem Zerfallsprodukt - blättrigem, staubigem, körnigem Rost - liegen. Und wenn man sich fragt, was das alles soll, muß auf die Inhalte der Fotos eingegangen werden, die der meist durch Performances bekannt gewordenen Künstler gemacht hat. Waren seine früheren Fotografien Abbildungen seiner Selbst beziehungsweise seiner Aktionen, hält er nun die Kamera auf Objekte und belichtet dieselben mehrfach, auf daß die Zeit durch Bewegung angehalten wird. So wird, um Beispiele zu nennen, aus zwei Metallstäben ein komplexes dreidimensionales Gebilde und aus einer Rose ein Rosenstrauß.

Wenn unter den zehn Bildern auch zwei sind, die aus seinen sonstigen acht herausfallen, erhöht das den Zeitwert seines Raumzeitprojekts in der Galerie Nowald, findet sich doch eines aus seiner „Erinnerungsspur in den Bergen am Lago d'Iseo und auf dem Monte Isola/Italien“ und ein anderes, das direkten Bezug nimmt zum Ort der Ausstellung.

Wie sagte Marcel Proust einmal? „Ich überlasse es den Leuten mit Geschmack, ihre Wohnungen mit den Reproduktionen von Meisterwerken zu schmücken, die sie bewundern, und ihr Gedächtnis von der Mühe zu befreien, ihnen ein kostbares Bild zu bewahren, indem sie es einem geschnitzten Holzrahmen anvertrauen.“ Dieter Appelt schafft die Kunst, die man im Gedächtnis behalten muß, es sei denn, man sieht eine vertrocknete Kartoffel, ein Stück verrostetes Eisen und erinnert sich an eine Rose, die ein Rosenstrauß ist.

Qpferdach

Galerie Nowald, Goethestraße 69, Mi-Fr 16-19, Sa 13-16 Uhr.

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