Katholenblatt: „Selbst schuld“

■ Römische Zeitung diffamiert Vergewaltigungsopfer Maria Carla Cammarata / Frauenvereinigung traute ihren Augen nicht / Fraktionen stellen im römischen Stadtrat Anfragen

Rom (taz) - Nachdem am Dienstag die Vatikan-Zeitung 'Osservatore Romano‘ die kurz zuvor verstorbene Maria Carla Cammarata als „mutige, von den Angeklagten und deren Anwälten vom Opfer regelrecht zur Angeklagten gemachten Frau“ gewürdigt hat, ist nun ein anderes Katholikenblatt, 'L'Avvenire‘, aufgetreten und hat den Fall der am 6.März 1988 an der Piazza Navona von drei jungen Männern vergewaltigten Frau „zurechtgerückt“: „Man muß das“, so die Frauenvereinigung Tribunlae 8 marzo, „dreimal lesen, bis man seinen Augen traut.“ Schuldig sei die Frau gewesen, steht da, schließlich habe sie „eine Ehe, ein eheloses Zusammenleben, drei Kinder von verschiedenen Männern, Drogen, Alkohol und Diebstahl hinter sich“ gehabt, und ansonsten gelte die Weisheit Herodots: „Ein kluger Mann kümmert sich nicht um eine geraubte Frau, denn sie wäre nicht geraubt worden, hätte sie es nicht selbst gewollt.“ Rüffel auch für den Priester, der eine Gedenkmesse für die Frau gehalten hat: dort habe man „ihre Familienangehörigen, die feministische Anwältin und zwei Kolleginnen“ der Frau beim Empfang der Kommunion gesehen - „Ob die auch vorher gebeichtet haben?“ Mit keinem Wort verurteilt die Zeitung die Tat. Wer mißhandelt wird, ist selbst daran schuld. Mehrere Fraktionen haben inzwischen im Stadtrat peinliche Anfragen nach dem Verbleib diverser Hilfsanträge von Maria Carla gestellt, in denen diese um Arbeit, Unterstützung und Zugang zu einem ihrer Kinder (das beim Vater lebt) gebeten hatte.

Werner Raith