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Das Loch zwischen den Wochen

Sonntag: Von Gottes heiligem Tag bis zum Vespa-Ausflug / Die Pflicht des Ausruhens bei Strafe der Auspeitschung / Einst Nyltesthemden - heute der Jogging-Anzug / Die Spaltung der Sonntagsgesellschaft: die Inhäusigen und die Aushäusigen / Alkohol und Knabbergebäck / Dezimalwoche gescheitert  ■  Von Harald Stübing

Ein Begriff entzweit die Republik: die Sonntagsarbeit. Die taz widmet sich heute und an den kommenden Samstagen diesem Phänomen. Kapitel 1 heute: Was ist das, dieser Sonntag? (d.Red.)

„Sonntags pflegte ich mich zu betrinken, um zu vergessen, daß Montag meine Arbeitswoche wieder anfing.(...)Nur noch der Sonntag trennte mich von dem gräßlichen Montag. Der Montag war zwar der schwerste und lästigste Wochentag, aber der Sonntag war der leerste.“ (Ionesco) Mürrische Bemerkungen eines Einzelgängers. Wie beschaulich wirken dagegen all die Schlagertexte, die in den Archiven der Rundfunkhäuser lagern: „Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln gehn,...„; „Ich freue mich, daß morgen Sonntag ist.“ Gejubelt wird, weil das Räderwerk der Woche zum Stillstand kommt. Entlassen aus der Fron der Arbeit, betritt der Mensch, wenn schon nicht das „Reich der Freiheit“, so doch das „Reich der Freizeit“. Sonntag - ein Tag zwischen ausgelassenem Überschwang und abgründiger Leere?

Gott erfant Faulenzen

Dabei begann doch alles recht erbaulich: „Und so vollendete Gott am siebenten Tag seine Werke, die er machte; und ruhete am siebenten Tag von seinen Werken, die er machte und segnete und heiligte ihn.“ Warum, darüber schweigt sich die Heilige Schrift aus. Was immer die Exegeten sagen mögen, die Spötter argwöhnen, daß Gott, nachdem er bereits sechs Tage fleißig und ohne Unterlaß schöpfte, auf Abwechslung im eintönigen Tagewerk sann und das Faulenzen erfand. Müde geworden, ruhte er. Und weil das bloße Nichtstun schon zu biblischen Zeiten schlecht angesehen war, erhielt der Tag die Gloriole des Heiligen.

Als die Babylonier vor rund 3.000 Jahren die 7-Tage-Woche einführten, ehrten sie am ersten Tag der Woche ihren Sonnengott. Das Christentum, auf der Suche nach Bewährtem, griff darauf zurück und verdrängte in der Folge den Sabbat der jüdischen Tradition. Bereits zu Zeiten der Apostel wurde die „opera servilia“, die knechtliche Arbeit, für die Sklaven verboten. Im Jahre 341 erklärte dann der römische Kaiser Konstantin der Große den Sonntag zum gesetzlichen Feiertag. Das Gesetz untersagte an diesem Tag Gerichtsverhandlungen und den Waffendienst, natürlich nur für christliche Soldaten. Beim 7-Tage-Rhythmus mit dem Sonntag blieb es, denn selbst der Französischen Revolution gelang eine Neuordnung ebensowenig wie der Russischen. Ihre Versuche, einen 10- bzw. 5-Tage-Turnus zu etablieren, scheiterten kläglich.

Verständlich, daß der Mensch sich zunächst über den freien Tag freute, der ihm von höchster und allerhöchster Stelle, nämlich Kaiser und Gott, zugesprochen war. Doch die „stille Einkehr“, die ihm auferlegt wurde, um der Schöpfung zu danken, geriet im Laufe der Jahrhunderte zum Erleiden von „dilettantisch faulen Sonntagen“ (Bloch). Der Mensch gierte nach Abwechslung, nicht immer zum Wohlgefallen der Obrigkeit. Die Lust- und Spazierfahrten kamen in Mode, die Wirte der Schenken und Gasthäuser konnten sich über einen Mangel an Kundschaft nicht beklagen, bis das Treiben seiner Untertanen dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm in Berlin zu bunt wurde. Im Jahre 1676 erging sein Edikt zur Sonntagsruhe, das Auspeitsch-, Geld- und Gefängnisstrafen allen androhte, denen es am heiligen Ernst gebrach. Ab sofort war der Ausschank verboten, die Ausflüge untersagt. Nur noch besinnlich zu Fuß durften die Zeitgenossen innerhalb der Stadtmauern wandeln. Glücklicher konnten sich da schon die Reisenden schätzen, waren sie doch von diesem Gesetz ausgenommen. So befreite bereits im 17.Jahrhundert bereits das Reisen von standortgeladener Unbill.

Mit solch repressiven Maßnahmen war langfristig dem Begehr nach Sonntagsausflügen nicht beizukommen. Die Vergnügungssucht fand noch immer eine Ausflucht aus dem Gitterwerk der Gesetze und Ermahnungen. Und die Technik half dabei, denn fast jede Neuentwicklung auf Rädern beschleunigte das Fortkommen. Zuerst konnten es sich einzig die Betuchten leisten, in ihren Pferdekutschen dem sonntäglichen Ausflugsziel entgegenzurollen. Als das Fahrrad vielen zugänglich wurde, ließ sich scharenweise ins Grüne aufbrechen. In den fünfziger Jahren knatterten die Roller und Motorräder durch die Landschaft, und mit der massenhaften Verbreitung des Automobils gab es kein Halten mehr. Ein neuer Typus entstand: die Sonntagsfahrer. Mit 60 bis 80 Stundenkilometern tuckerten sie in ihren Familienkutschen über die Landstraße. Heute wirkt diese Form der Kontemplation anachronistisch. Seitdem eine Gesellschaft sich das Etikett „jung, dynamisch, aktiv“ verpaßt, erhöht sich der Druck aufs Gaspedal. Zielstrebig rauscht der 4 -Zylinder den Orten mit „hohem Freizeitwert“ entgegen. Die Skipiste, der See zum Baden und Surfen, die Kletterwand oder was auch immer, warten nicht ewig, glauben zumindest ihre „Anbeter“. Aber halt, bevor die Motoren gestartet werden, ist der Sonntag schon viele Stunden alt.

In der Regel beginnt er mit dem Ausschalten des Weckers am Samstag, sofern dies nicht bereits am Freitag abend geschehen ist. Nach diesem demonstrativen Akt der Freiheit teilt sich die Bevölkerung am Samstag abend in die Inhäusigen und die Aushäusigen. Letztere verbringen den Abend allein, zu zweit, in Familie oder im Freundeskreis vor einem erleuchteten Kasten, den ein tiefsinniger Witzbold einmal mit einer Feuerstelle verglich. Nachlässigkeit breitet sich aus, Schlaf- und Jogginganzüge, sonstige Freizeitkleidung, der nachgesagt wird, sie sei bequem, bevorzugen die Inhäusigen; Alkoholika und Knabbereien stehen bereit. Nach dem Durchstöbern der Programme per Fernbedienung endet der Abend, wie er immer endet - in den frühen Morgenstunden in mehr oder minder besäuseltem Zustand. Darin unterscheiden sich die Inhäusigen nicht von den Aushäusigen.

Sonntagsabenteuer

Diese geraten freilich in Unruhe, wenn ihre seßhaften Mitmenschen sich anschicken, den Sessel zu erobern. Die Körper wollen gepflegt, die Gesichter geschminkt, die Haare „gestylt“ sein, und die Wahl der Kleidung bedarf kritischer Spiegelüberprüfung. Die Telefone verschalten sich, Verabredungen werden noch schnell getroffen. Irgendwann ist es dann soweit, die Wohnungstüren fallen ins Schloß, die Suche nach dem Abenteuer kann beginnen. Überlassen wir es dem Zufall, was in der Nacht von Samstag auf Sonntag geschieht.

Auf jeden Fall fordert die rituelle Verausgabung ihren Tribut. Um die ermatteten Glieder wieder zu stärken, gehört der Vormittag - je nach Jahreszeit und Wetter mehr oder minder - dem Schlaf. Auf göttlichen Zuspruch vertraut man weniger, denn nur noch die wahrhaft Unermüdlichen rüsten zum frühen Kirchgang. Später beim Frühstück gleichen sich die Inhäusigen und die Nachtschwärmer; beide bevorzugen das Legere. Wer erinnert sich noch an die sechziger Jahre, als die frisch gebügelten Hemden, Pullover und Hosen - möglichst 100 Prozent Kunstfaser - bereitlagen? Diese ewigen Kratzbürsten sorgten damals problemlos für eine angemessene Haltung. Solange die Bekleidungsindustrie exzessiv der Chemie huldigte, war sie zugleich die letzte Bastion zur Erhaltung eines feierlichen, erhabenen Sonntags. Mit der Verbreitung der „sports-wear“ brach das Bollwerk aus Nylon und Polyester zusammen, der Sonntag ging aus der Form und unter im Freizeitkult.

Noch immer bevölkern die großen Schüsseln mit den sämigen Soßen die Mehrzahl bundesdeutscher Mittagstische. Wohl bekomm's. Wer der anschließenden Ausflugsstimmung trotzt, findet die kleine Ausflucht. Gelungert wird in den Kneipen, Cafes und Parks. Urteilt man nach den traurigen Gesichtern, ist von Spaziergängen abzuraten. Und zu Hause hilft nur die bedingungslose Regression beim Verzehr von Torten. Unmengen von Cremes und Sahne stopfen das unersättliche Maul des Nichts. Der Abend löst Trauer aus über die dahineilenden Stunden; das Ende des freien Tages naht. Aber zugleich durchzuckt ein leichtes Prickeln die Körper. Nur noch eine Nacht und das pulsierende Leben beginnt erneut - gräßlich, oder doch nicht?

Wenn alles getan ist

Ehemals war der Sonntag der Tag des Herrn, er gab der Woche den Sinn. Mit der Durchsetzung der geregelten Erwerbsarbeit gerät er in den Strudel der Profanisierung. Eine Gesellschaft, die ihre Bestimmung in und aus der Arbeit erfährt, destruiert das Bewußtsein von dem, wie es sein könnte, „wenn alles getan ist“ (Reklamespruch eines Freizeitgetränkes). Umgeben von der Welt der Arbeit gleicht der Sonntag immer mehr einem „Loch zwischen den Wochen“ (Manganelli), das nur noch die „Freizeitindustrie“ zu stopfen versteht. Je mehr sich die Menschen an diesem Tag bei „Sport, Spiel und Geselligkeit“ zerstreuen wollen, desto größer wird der Bedarf an Dienstleistungen. Denn wer kocht und serviert die Speisen, wer schenkt die Getränke ein, wer öffnet und beaufsichtigt die Museen und Sportzentren, wer betreut die Kranken, wer fährt die Taxen, Busse und Züge, wer nimmt in den Cockpits der Düsenjets Platz? Menschen, die arbeiten. Der Mensch ist des Menschen Laus, ein unverbesserlicher Parasit. Seitdem nun wieder die Industrie beginnt, am Verbot der Sonntagsarbeit zu rütteln, bricht eine neue Debatte um den einst geheiligten Tag aus. Noch ist nichts entschieden, aber vielleicht gehört Manganellis Beschreibung einer „Sonntagsneurose“ bald der Vergangenheit an? „Die Stadt hat ihren wöchentlichen Anfall - ohne offene Geschäfte - kaum Apotheken - weniger Autobusse - kleinlaute Passanten - und die träge Traurigkeit einer Klinik, deren Kranke in einer künstlichen Lethargie dahindösen.“

Ja, es läßt sich trefflich streiten über den Sonntag und dessen weitere Entwicklung. Bis alles anders wird oder alles bleibt, wie es ist, werden wir uns in der Langeweile suhlen und/oder allen Vergnügungen nachjagen, die er bietet - der Sonntag.

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