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SPD beschloß, mal ein bißchen aufzubrechen

■ Landesparteitag segnte Konzept für Senatsumbildung ab / DGB-Chef Möller scheiterte mit Forderung nach eigenem Arbeitsressort / Scherf demonstrierte bürger-meisterliche Solidarität / Sakuth als Nachfolger von „Nobel-Meyer“ bestätigt

In der Kantine des Ernst-Waldau Theaters stieg weißer Rauch über dem Erbseneintopf auf. Der Bürgermeister strahlte, fiel rechts seiner kommissarischen Parteivorsitzenden um den Hals, knuffte links den Fraktionsvorsitzenden kumpelhaft in die Seite und stakste in einer etwas ungelenken, aber jungenhaft schwungvollen Aufwärtsbewegung seine zur Faust geballte Linke in die verbrauchte Saal-Luft. Habemus Senatsumbildung.

Mit überwältigender Mehrheit hatten die Liebengenossinnenundgenossen beschlossen, was ihre Mehrheit schon auf vier Unterbezirksparteitagen und zig Ortsvereinssitzungen unter „Neuanfang der SPD“ verstanden wissen wollte: „Der Bremer Senat besteht, wie gehabt, aus zehn SenatorInnen, der unvermeidlich neue Innensenator incl.“. Jetzt gönnten sie ihrem Bürgermeister, der es eigentlich ganz anders gewollt hatte, - aber davon redete netterweise niemand mehr außer einem („Der Bürgermeister ist glattgebügelt worden)“ - ihr Votum als seinen Erfolg. Stehende Ovationen.

Bremens Wirtschaftssenator a.D., Werner Lenz, heute Bremerhavener SPD-Chef, hatte es in der Debatte auf den Punkt ge

bracht: „Wenn wir hier auch das neue Konzept von Klaus Wedemeier zerreden, dann fürchte ich, kippt der ganze Senat.“

Das nun freilich wollte niemand von den 203 delegierten Genossinnenundgenossen, auch nicht die drei, die mal wieder ihre Stimmkarte vergessen hatten.

Höchstens ein bißchen routinemäßges Basisnörgeln, um dem Bürgermeister klarzumachen, daß auch der neue Senat beileibe keine Dauerlösung sein kann: Spätestens 1992 will Bremen Nord wieder seinen Proporz-Senator, und spätestens dann muß auch wieder über ein eigenständi

ges Arbeitsressort nachgedacht werden, für das im basiswunschgemäßen 10er-Pack kein Platz war und das Klaus Wedemeier sich deshalb ans eigene Bürgermeisters-Bein binden mußte („Eine Entscheidung, die mir nicht leicht gefallen ist“).

Prominentester Nörgeler des

halb auch Bremens DGB-Chef Heinz Möller bei seinem Jungfern -Auftritt vor einem SPD-Parteitag. Ob denn Massenarbeitslosigkeit und Arbeitsplatzängste der Kollegen für den Senat jetzt den gleichen Stellenwert bekommen sollten wie „die kirchlichen Angelegenheiten“, die seit jeher in die Zuständigkeit des jeweiligen Senatspräsidenten fallen, sei er von Gewerkschaftern gefragt worden, berichtete der „Genosse Heinz“, und daß auch er der Meinung sei, daß es so nicht weitergeht: „Wir hätten den Kollegen sehr gut klar machen können, daß ein 11. Ressort nötig ist. Wir können den Kollegen aber nicht klar machen, daß die Arbeit wieder hintenrunterfällt“. Was dem Genossen DGB -Vorsitzenden zwar einigen Applaus, aber auch den Zwischenruf „Du willst wohl selbst Senatsdirektor werden“ eintrug, als dessen Urheber mehrere Anwesende den stellvertretenden Bürgermeister Henning Scherf ausmachen zu können glaubten, was wiederum die eine oder andere unschuldige Tischplatte büßen mußte und Anlaß zu vorzeitigen Aufbruchsgedanken gab: „Eine Versammlung, die so mit den Kollegen von der Gewerkschaft umgeht, müßte man eigentlich unter Protest verlassen.“

Müßte man vielleicht, tat aber niemand. Lieber hörte man sich doch die offizielle und in ihrer Urheberschaft unzweideutige Gegenrede des stellvertretenden Bürgermeisters an, der unter mindestens gleich starkem Beifall zu bedenken gab, daß die Kollegen unter „Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit“ möglicherweise doch etwas anderes verstehen könnten als die Schaffung eines zusätzlichen Arbeitsplatzes im Senat. Und dann nahm der Bürgermeister -Stellvertreter dankbar die Gelegenheit wahr, die ihm ein Journalist in einem privaten Parteitagsrandgespräch geliefert hatte, um bürger-meisterlichen Schulterschluß zu demonstieren. Den Journalisten-Flachs, Wedemeiers Krise müsse doch seine, Scherfs, Stunde sein, zitierte

Scherf nur, um unter heftigem Beifall zu kommentieren: „Ich bin kein Kriegsgewinnler, ich leide mit Klaus Wedemeier, ich gehe mit ihm unter Wasser, und ich stehe mit ihm jetzt am Anfang einer neuen, großen Offensive.“

Daß die „neue, große“ und auf dem Transparent hinter dem Rednerpult beschworene Offensive nun mit dem alten, in seiner Geschäftverteilung ein bißchen umorganisierten Senat stattfinden soll, davon war auf dem Parteitag fast keine Rede mehr. Eine Delegierte nannte die Abtrennung der „bauenden Ämter“ (Amt für Straßen-und Brückenbau, Bauordnungsamt, Hochbauamt und Bauamt Bremen-Nord) von Evi Lemke-Schultes Stadtentwicklungsressort und ihren Zuschlag zu Konrad Kunicks Verkehrsressort „einen Schlag ins Gesicht der Beiräte“. Die müßten sich künftig mit zwei Senatoren rumschlagen, ohne ... - was die Delegierte noch zur Begründung ihrer Kritik zu sagen hatte, ging bereits im allgemeinen Frikadellenbestellen und Zigarettenpauseneinlegen unter, das sich erst wieder legte, als der Bürgermeister sich in seinem Schlußwort artig bei den senatsposten-verzichtenden Bremen-Nordern bedankte und nochmal sagte, daß er sich auch als Arbeitssenator einiges vorgenommen habe. Abstimmung. Der Rest s.o.

Ach so, irgendwann wählten die Delegierten noch einen Herrn Sakuth mit 158 von 193 abgebenenen Stimmen zum Nachfolger des „mit erhobenem Kopf“ zurückgetretenen Innensenators von „hervorragender Noblesse“ (Wortschöpfungen: Ilse Janz, kommissarische SPD-Landesvorsitzende), Bernd Meyer. Nachfolger Sakuth ist laut Selbstauskunft 40 Jahre, verheiratet, hat 2 Kinder und den Mitgliedausweis der ÖTV, sitzt seit 1983 in der Bürgerschaft, spricht seit 1987 für deren Innendeputation und will dafür sorgen, daß das „weggebrochene Vertrauen in die Polizei“ wieder gestärkt wird und die Polizei selbst kein „vergreisender Prozeß“ wird.

K.S.

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