: David darf jetzt wieder David sein
FC St. Pauli - 1. FC Köln 0:1 / Selbst der zwölfte Mann half nichts gegen die coolen Rheinländer ■ Aus Hamburg Jan Feddersen
Wie ein waidwundes Reh saß die ehemalige ABM-Kraft Helmut Schulte im Pressecontainer. „Kopf hoch, Helmut“, wurde der Trainer des zuletzt elfmal unbesiegten FC St. Pauli getröstet, zog aber nur den rechten Mundwinkel gequält nach oben: „Ja, so ist das im Leben“, er hätte das Gefühl zu verlieren schon nicht mehr gekannt, aber jetzt, wo es unwiderruflich passiert ist: „Das ist echt deprimierend.“
Die treuen St. Pauli-Anhänger - das Wort „Fans“ ist am Millerntor verpönt - trugen nach dem Spiel keine Trauer. Schließlich kommen die meisten nicht ins Stadion, um einen Meisterschaftsaspiranten brillieren zu sehen. David gegen Goliath, St. Pauli gegen den Rest der Bundesliga-Elite - das Credo mundet, da paßte das Kölner 1:0 schließlich doch ganz gut in den Kram. UEFA-Pokal-Träume incl. Siegprämien -Verhandlungen, wie sie dem FC St. Pauli von Hamburgs Balkenletter-Presse angedichtet werden, gehören der Vergangenheit an. Der FC St. Pauli belegt mit 17:15-Punkten einen soliden Mittelfeldplatz und kann davon ausgehen, nicht abzusteigen.
Die Kölner brauchen auch nicht abzusteigen, im Gegenteil. Vor allem ihr kluges Kombinationsspiel im Mittelfeld und ihre beinahe unnachahmliche Kunst, das gegnerische Spiel schon in dessen Spielhälfte zu pulverisieren, brachte ihnen nicht nur das 1:0, sondern auch die beinahe vollständige Dominanz über 90 Minuten. Die Spieler des FC St. Pauli tauchten in der 23. Minute überhaupt erstmals vor Kölns Torwart Bodo Illgner auf - ein mutiger Angriffszug mit Sinn und Verstand, der jedoch gleich darauf bestraft wurde: Die Hamburger, vor Freude über den Angriff noch voll euphorisiert, blieben wie ausgelassene Kinder in Kölns Hälfte. Die Rheinländer hingegen, drei Jahrzehnte Bundesligaerfahrung auf dem Buckel, konterten blitzschnell: Olaf Janßen trug die Kugel kilometerweit in St. Paulis Hälfte hinein, wo er schließlich nur noch auf seinen unermüdlich ackernden und mitlaufenden Kollegen Thomas Häßler passen brauchte. St. Paulis Torwart Volker Ippig ansonsten bester St. Pauli-Spieler - war gegen Häßlers Schuß wehrlos.
Der Rest ist Statistik: Kölns Pierre Littbarski dirigierte seine Mannen, und Thomas Häßler benutzte seine Gegenspieler vor allem als lebende Slalomstangen, die man nur geschickt genug umschlängeln muß. Der 1. FC Köln machte vor allem einen Fehler nicht, den selbst der FC Bayern München nicht ausgelassen hat: Die Rheinländer ließen sich vom brüllenden Orkan („Zwölfter St. Pauli-Mann“) auf den Rängen nicht einschüchtern, besser: Es hat sie überhaupt nicht interessiert.
St. Paulis Volxhelden Jens Duve (luschig), Jan Kocian (machtlos), Andreas Golke (arbeitsam), Waldemar Steubing (katastrophal) und Bernhard Olck (glänzendes Laufpensum) jedenfalls konnten gegen das durchdachte und unterkühlt -emotionslose Spiel der Kölner nichts ausrichten. Wenigstens Oldtimer Rüdiger Wenzel hätte in der 73. Minute noch den Ausgleich schaffen können - doch die Kölner Terriermischung Jürgen Kohler stand im Weg, leider. „Aber der Ausgleich wäre auch ungerecht gewesen“, meinte nach dem Spiel eine treue St. Pauli-Seele.
Noch ein Spiel in Uerdingen, dann gibt es auch für St. Pauli Weihnachtsurlaub. Durch den Zuschauerschnitt von knapp 20.000 (6.000 mehr als kalkuliert), sind mehr als eine Million Mark Überschuß in die Millerntor-Kassen geflossen. Und wer wollte den St. Pauli-Kickern das jetzt fällige Weihnachtsgeld nicht gönnen?
ST. PAULI: Ippig - Kocian - Trulsen, Duve - Olck, Golke, Gronau, Bargfrede (46. Zander), Flad - Steubing (62. Wenzel), Ottens
KÖLN: Illgner - Gielchen - Hönerbach, Kohler - Häßler, Povlsen, Littbarski (82. Götz), Janßen, Görtz - Rahn, Allofs
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