: „Wir sind 300 bis 400 Jahre zurück“
■ Bremer Ein-Prozent-Kultur - es diskutierten Tobias Richter (Theater Bremen), Norbert Kentrup (Shakespeare Company), Jürgen Waller (bildender Künstler), Siegfried Salzmann (Kunsthalle) und Wolfgang Hagen (Radio Bremen)
Richter: Im Bremer Etat ist ca. ein Prozent für Kultur vorgesehen. Alle werden jetzt meinen, daß es nirgendwo reicht. Aber wie geht man damit um?
Kentrup: Ich glaube, es ist keine Finanzkrise, sondern eine Inhaltskrise. Solange 25 Prozent des Etats in die Rüstung gehen,
und nur ein Prozent für Kultur ausgegeben wird, solange ist in dieser Gesellschaft etwas falsch.
Hagen: Aber das kannst Du Wedemeier nicht vorwerfen.
Kentrup: Doch, weil die Parteien es mit befördern.
Richter: Da wird der Wirtschaftsfaktor Kunst ins Feld geführt. Der ist jetzt gesellschaftsfähig geworden. Die IFO -Studie hat ja ergeben, daß in der BRD im Jahr 40 Milliarden im Bereich Kunst umgesetzt werden.
Hagen: 75 Prozent des Kulturetats bleiben am Goetheplatz, was bekommt ihr?
Kentrup: Sämtliche freien Theater in Bremen bekommen höchstens Lotto-Gelder.
Hagen: Was fließt von dem Rest an die bildenden Künstler?
Waller: Wir sind so bescheiden, daß wir schon in dieser kleinen Rangfolge als letzte genannt werden. Es gibt die Gesellschaft für aktuelle Kunst, die steht in keinem Etat. Es gibt noch nicht mal einen Ankaufsetat für bildende Kunst in dieser Stadt.
Hagen: Was hat denn die Kunsthalle für einen Ankaufsetat?
Salzmann: Gar keinen. Dieses Jahr habe ich 30.000 Mark vom Senat gekriegt. Ich muß mir das Geld von außen verschaffen. Die Potenz Bremens ist nicht mehr da. Andererseits darf man dem Senat keine Gelegenheit geben, sich aus seiner Verantwortung zu stehlen. Man muß verlangen, daß die Kulturausgaben in aller Kürze mindestens um 100 Prozent erhöht werden, damit die allernotwendigsten Ausgaben abgedeckt sind.
Kentrup: Solange in den Parteien, und nicht nur in der SPD, dieses Banausentum da ist, nämlich Kultur-Kosten-Nutzen -Rechnen, ist es absolut hoffnungslos.
Waller: Aber Franke hat dazugelernt. Als ich hier nach Bremen kam, da hat er noch wörtlich gesagt: 'Spitzenkultur ist mir scheißegal, mich interessiert das Mittelmaß.‘
Richter: Das Lamento nützt nichts, die Frage ist: Was wäre eigentlich machbar? Wie kriegt man einen politisch aktiven Banausen dazu, sich auch mit dem Faktor Kunst zu beschäftigen? Wenn es über das Ideelle nicht funktioniert, dann über den Wirtschaftsfaktor.
Waller: Bis auf Investitionen in Museen hab‘ ich überhaupt nichts mit staatlicher Kunstförderung am Hut. Ich will die gar nicht.
Hagen: Aber einen Ankaufsetat soll es geben, wie hoch soll der sein?
Waller: Mit 100.000 Mark kom
men wir aus. Mehr Spitzenkunst gibts in der Stadt sowieso nicht.
Hagen: War es denn richtig von der SPD, die Wandmalereien zu bezahlen?
Waller: Das ist eine Anhäufung schlechter Wandbilder in der Stadt.
Kentrup: Ich finde die Wandmalerei teilweise auch ziemlich schrecklich, aber man muß den Trägheitsfaktor mitbedenken: Die Sachen können ein Weg sein, um es in zehn Jahren mal besser zu machen.
Richter: Es hat jetzt wenig Zweck, darüber zu reden, ob man dieses Feld so und jenes Feld so fördern soll. Die Frage ist nur, sind die etablierten Institute gemessen an den Möglichkeiten ausreichend bedient?
Hagen: Die Spitzenkultur macht ihre eigenen Preise. Kennst Du irgendeinen Theaterbetrieb von Bedeutung, der es deswegen geworden ist, weil ihm eine ganz gezielte Kulturpolitik geholfen hat?
Richter: Ich würde schon ein Beispiel finden. Weil die Theater in Baden-Württemberg nicht jede Erbse zählen müssen, sind gewisse Freiräume entstanden. Es ist nicht so sehr das Entscheidende: Wie gut ist das Stuttgarter Theater, sondern was ist in Tübingen, in Esslingen, in Ulm entstanden, wo die Finanzsituation mit einer vernünftigen Kulturpolitik ne Menge ermöglicht hat.
Kentrup: Ich bin der Meinung, daß es, so wie die Subvention verteilt wird, absurd ist. Die ganzen Spitzen-Gagen-Systeme sind totaler Unsinn. Die Gagen, die be
stimmte Opernsänger und Schauspieler bekommen, sind absurd.
Ein Stadttheater kann nur über ein Ensemble funktionieren. Und ein Ensemble kann gar nicht funktionieren, solange diese Gagen-Hierarchien da sind. Das teuerste am Theater sind die Hierarchien. Und solange die subventioniert werden, kommen wir nicht auf ein anderes Denksystem.
Waller: Das Theater ist doch auch ein freier Markt. Die haben ja keine Beamten, die vom ersten Tag bis zum Lebensende am gleichen Platz sitzen. Der Richter muß sich doch bewähren, muß besser sein als die anderen. Denn wenn hier der Vertrag nicht verlängert wird, dann muß der seinen Marktwert haben.
Kentrup: Das ist eine Spirale, die kann man nur unterlaufen.
Hagen: Aber es gibt auch die Sponsoren. Wie läuft das eigentlich praktisch?
Salzmann: Das ist eher punktuell. Die Gesamtsumme aus dem Bereich der bürgerlichen Gesellschaft ist wesentlich geringer als vor dem ersten Weltkrieg, weil diese Familien längst nicht mehr reich sind. Das ist aber kein Bremer Erscheinungsbild, das ist eine generelle Entwicklung.
Kentrup: Ich denke, daß keine Kultur da ist, hat etwas damit zu tun, daß weder die Politiker noch wir begreifen, daß wir verschiedene Interessen haben. Ein Staat hat das Interesse, Ordnung zu schaffen. Unser Interesse ist, möglichst viel Leben, Bewegung und produktives Chaos herzustellen. Das muß sich beißen. Aber,
daß wir notwendig sind, um diesen Staat lebendig zu erhalten - dafür muß ein Bewußtsein geschaffen werden.
Salzmann: Der Konflikt muß auch ausgetragen werden. Ich bin zwar längst weg von der Klagemauer, aber trotzdem ist es notwendig, daß diese Leute, die die Macht haben, auch lernen, daß es Mindestsummen gibt, die man nicht unterschreiten darf. Bremen ist da besonders zurückgeblieben. Im Bereich der Restauration alter Bilder haben wir gegenüber den Holländern einen Nachholbedarf von 300 bis 400 Jahren.
Hagen: Man kann die Frage auch so diskutieren: In einer Stadt wie Bremen hat man die Erwartung eines bestimmtes Levels von Spitzenkultur. Wenn man diese Erwartung hat, ist es eine ganz einfache, pragmatische Frage, zu gucken, was kostet das heute? Richter: Das Problem ist, daß wir fast über 90 Prozent feststehende Gehalts-Zahlungen leisten müssen.
Kentrup: Aber so wie die Bilder-Restauration 300 Jahre zurück ist, ist eine Generalintendanz eine Struktur aus dem Kaiserreich. Das aufrechtzuerhalten, ist Unsinn. Innerhalb der Parteien muß ein Umdenkungsprozeß entstehen, daß Hierarchien mehr Geld kosten als andere Strukturen.
Hagen: Bleiben wir mal bei dem pragmatischen Ansatz: Wenn eine Stadt Spitzenkultur haben will, dann muß sie den gegebenen Preis bezahlen, auch wenn er unter fragwürdigen Verhältnissen zustande kommt.
Salzmann: Aber es muß auch eine Bündelung der Kräfte und Energien geben. Wir haben einen Haufen von allen möglichen Vereinigungen und Splittergruppen in Bremen. Es ist kaum möglich, die auf einen Begriff von Spitzenkultur zusammenzubringen. Hier kochen zu viele ihr eigenes Süppchen und zu viele denken, sie verstehen etwas davon.
Waller: Wie wollen Sie das ändern?
Salzmann: Indem man den Leuten bei passender Gelegenheit klarmacht, daß sie nichts davon verstehen.
Hagen: Radio Bremen bestreitet seit 15 Jahren seinen Etat zu einem Drittel aus Werbung. Das geht im Theater nicht, weil es dafür keine Anbieter gibt.
Richter: In Hamburg ist es jetzt schon möglich, daß im Theater die Bild-Zeitung eine Produktion sponsort, daß eine Parfum-Firma eine Produktion fördert und damit einen Werbefilm macht. In Bremen ist das Umfeld noch nicht so reif.
Salzmann: Verwechslung von Kulturpolitik mit Sozialpolitik das ist ein ganz wesentlicher Faktor hier in Bremen. Der hat etwas mit sozialdemokratischer Sentimentalität zu tun.
Kentrup: Ich bin nicht gegen Spitzenkultur. Aber ich bin trotzdem sehr für Breitenkultur. Jede Kultur, die unbequem sein will, findet niemals einen Sponsor, der nach Nutzen -Kosten vorgeht.
Hagen: Das ist doch Unsinn. Es gibt in jedem kritischen Film, wenn er nur erfolgversprechend ist, ein Product -Placement. Da gehen enorme Summen der Firmen rein.
Salzmann: Das alte Bürgertum hat sich mit seiner Stadt und deren Aufgaben voll identifiziert - und die hatten auch die Macht. Heute haben sie nicht mehr die Macht und engagieren sich auch nicht mehr. Sie stehen in der Opposition und haben nicht die Chance, zur Entfaltung zu kommen. Das ist ein großer Nachteil für die Stadt.
Hagen: Also, wenn die Bremer endlich die CDU wählen würden...
Kentrup: Solange ein Politiker noch gewählt wird, der nicht mindestens drei Prozent Kulturhaushalt fördert, solange sind wir selber die Dummen.
Salzmann: Wir müssen fordern, daß der Bürgermeister sich viel mehr für die Kultur engagiert, das ist doch das mindeste.
Richter: Er muß hier kraft seiner Autorität vorangehen.
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