: Hol's der Teufel
■ Stefan Koldehoff und Michael Magun führten Anfang Oktober eines der letzten Interviews mit Erich Fried
taz: Warum schreibt man?
Erich Fried: Fast alles, was ich geschrieben habe, war zunächst einmal für mich selbst formuliert - weil ich wütend war oder das Gefühl von Ohnmacht gegenüber einer behördlichen Gemeinheit hatte, das ich schon von der Hitlerzeit her kannte und das mir damals Ansporn war, mich dagegen aufzulehnen.
Ich habe natürlich dadurch, daß ich z.B. meine Vietnam -Gedichte dann in einem Band vereint habe, in dem sonst keine Liebesgedichte, keine Gedichte über Landschaften, Alter und Sterben standen, die Leute aufrütteln wollen. Aber das war nicht eigentlich dafür geschrieben. Geschrieben war es, weil ich empört war und weil ich gedacht habe, wenn ich die Dinge, die mir durch den Kopf gehen und am Herzen liegen, ordentlich formuliere, wird das schon irgendwelchen anderen Leuten auch etwas sagen.
Der Vietnam-Gedichtsband ist erst entstanden, als ich versucht habe, eine Anthologie gegen den Vietnam-Krieg zu machen mit einer ganzen Reihe verschiedener deutscher Autoren. Aber die wollten alle nicht so recht: Paul Celan wollte nicht, Ingeborg Bachmann wollte nicht usw. Klaus Wagenbach fragte mich dann, warum ich nicht einen Band aus meinen Gedichten zum Vietnam-Krieg machte. Ich hatte das eigentlich gar nicht beabsichtigt, weil ich es für weniger wirksam hielt als eine Anthologie.
Ein noch größeres Publikum haben Sie dann mit dem Band Liebesgedichte erreicht...
Ich hatte schon vorher für Lyrik verhältnismäßig hohe Auflagen: Der Vietnam-Band hatte etwa 35.000 , was gar nicht schlecht ist für einen Gedichsband. Die Liebesgedichte hatten dann 150.000. Aber ich glaube nicht, daß es mir erst damit der Durchbruch zu einem großen Publikum gelungen ist. Ich bin ja kein lyrischer Geschäftsmann, sondern habe mich gefragt, warum es so einen besonderen Bedarf dafür gibt.
Wahrscheinlich , weil man gerade auf der Linken jahrelang meinte, die Liebe müße entmystifiziert werden, das sei ganz einfach. In Wirklichkeit ist Liebe nicht ganz so einfach und für die Menschen nicht nur ein Problem der sexuellen Befriedigung sondern auch Ursache für sehr große emotionelle Probleme, die mit Liebesbeziehungen Hand in Hand gehen. Und da gab es einen gewissen Nachholbedarf. So erkläre ich mir das. Die Zeiten sind viel trauriger geworden seither. Trotzdem habe ich seitdem keinen Band gemacht, der nur Liebesgedichte enthält...
Stört Sie die Preisgabe, die mit Liebesgedichten zwangsläufig einhergeht?
Man kann natürlich solche Gedichte nicht veröffentlichen, ohne die Bewilligung aller betroffenen Personen, also in diesem Fall sowohl der Adressatin der Liebesgedichte als auch, da das nicht meine Frau war, die meiner Frau. Wenn eine von denen etwas entscheidendes dagegen gehabt hätte, hätte ich das nicht veröffentlicht. Genauso wie ich in den späteren Bänden auch Liebesgedichte an meine Frau nicht veröffentlichen konnte ohne ihre Einwilligung.
Kann und sollte man denn überhaupt schreiben, wenn man nicht bereit ist, etwas von sich preiszugeben?
Von sich preisgeben ja, aber nicht von anderen Menschen. Es gibt auch die Theorie, daß sich ein Dichter hinter seinen Gedichten verstecken sollte. Das ist eine Theorie von Eliot, die ihm als Lyriker aber auch nicht geholfen hat.
Je mehr man über das Leben eines Dichters weiß, desto mehr weiß man auch über seine Gedichte. Sekundärliteratur über mich selbst hat mich allerdings nie interessiert. Ich hatte allerdings irgendwann meinem Verleger versprochen, meine Erinnerungen an die Kindheit, an die Jugendzeit und Emigrationszeit einmal aufzuschreiben.
Anfang 1986 sah es so aus, als würde ich in einigen Monaten wahrscheinlich sterben. Da habe ich mir gedacht: „Hol's der Teufel, dann will ich wenigstens noch schnell dieses Versprechen erfüllen“, und habe diese Geschichte diktiert und dann ordentlich durchkorrigiert und unter dem Titel Mitunter sogar Lachen herausgegeben. Als ich es fertig hatte, stellte sich heraus, daß ich mit Glück noch zehn oder fünfzehn Jahre leben könnte - außer wenn ich wieder einen Krebs kriege.
Herr Fried, was hat sich seit der Wahl von Kurt Waldheim zum österreichischen Bundespräsidenten für Sie als Österreicher verändert?
Es hat sich insofern was verändert, als Österreich in der Welt einen schlechteren Ruf gekriegt hat. Waldheim war zwar nicht irgendein großer Naziverbrecher, aber er war ganz außer Zweifel ein Lügner. Er hat behauptet, daß er nach seiner Verwundung im Krieg nicht wieder an der Front war und nicht wieder aus Wien weggegangen ist, sondern studiert hat. In Wirklichkeit war er dann sowohl in Jugoslawien als auch in Griechenland. Das ist natürlich sehr wesentlich.
Er hat nicht selbst Erschießungsbefehle erteilt und hätte die Erteilung auch nicht verhindern können, aber durch das Abzeichnen der Befehle hat er natürlich genau gewußt, was los ist. Und wenn er dann später gesagt hatte, dies alles habe er erst aus der Zeitung erfahren, so ist das eine Lüge. Noch viel unehrlicher waren andere Dinge: der Wahlkampf hatte eindeutig antisemitische Unter- und Obertöne, was nicht seine Schuld sein muß.
Aber er hat, als er dazu befragt wurde, behauptet, daß er nicht das geringste davon gemerkt habe. Und dann muß er entweder schwerhörig oder begriffsstutzig sein. Außerdem hat er in Wien gesagt, er habe unter den Nazis die Konsulatsakademie besucht, damit er nach dem Krieg als Diplomat wieder dem freien Österreich dienen kann. In Kärnten aber, wo die Stimmung äußerst deutschnational ist, hat er gesagt: „Hier in diesem Land ist es ja bekannt, daß ich im Krieg die Heimat verteidigt habe.“
Wenn Österreich als von den Nazis besetztes Land galt, dann haben die Heimat eigentlich nur die Leute verteidigt, die in der Widerstandsbewegung waren, und nicht Offiziere der Hitlerarmee. Daß er Offizier in der Hitlerarmee war, kann man ihm nicht vorwerfen - da wurde man eingezogen - aber seinen schlechten Stil.
Hitler hätte die Volksabstimmung nicht gewonnen, wenn er nicht zuerst einmarschiert wäre, aber es gab trotzdem genug ganz prominente und kleine Nazis in Österreich. Österreich ist schon ein Land, daß an der Nazitradition Anteil hatte. Hitler war schließlich Österreicher, und bemerkt auch in „mein Kampf, daß er von den österreichischen antisemitischen Bewegungen, von Breger dazu inspiriert wurde.
Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist, daß es mich stört, daß dieser Waldheim ja nicht wirklich als unabhängiger Kandidat sondern als Kandidat der ÖVP, die etwa der CDU/CSU entspricht, aufgetreten ist. Durch seinen Sieg hat die Partei einen enormen Auftrieb bekommen, so daß die Gefahr besteht, daß die Rechte die nächsten Wahlen in Österreich gewinnt.
Wie bewerten Sie die Reaktion Israels auf diese Entwicklung?
Ich glaube, die Israelis hätten sich lieber ebenso wie der Jüdische Weltkongreß aus der Sache heraushalten sollten, obwohl zu verstehen ist, daß sie Antisemitismus nicht gern mögen. Wenn der Jüdische Weltkongreß wichtiges Material gefunden hat, so wäre es von ihm klüger gewesen nicht einen journalistischen Coup haben zu wollen, sondern die Sache irgendwelchen nichtjüdischen, amerikanischen Liberalen oder einen amerikanischen Anwalt zu übergeben. Denn in Österreich ist der Antisemitismus viermal so groß wie in der BRD. Infolgedessen hat die Tatsache, daß die Vorwürfe gegen Waldheim im Jüdischen Weltkongreß kamen, bedeutet, daß die Leute sagen: „Die Juden wollen uns unseren Kandidaten madig machen.“ Und auch Waldheim hat immer nur davon gesprochen, wie ihn der Jüdische Weltkongreß hetze.
Einige andere Materialien sind in einer jugoslawischen Zeitschrift und in England aufgetaucht, keineswegs von Juden, aber das wurde nicht bemerkt.
Und sogar Lord Carrington, ehemaliger britischer Außenminister und NATO-Generalsekretär, ein Konservativer also, hat von Waldheim gesagt: „Er hat so ein dickes Fell, daß er gar kein Rückgrat braucht, um stehen zu können.“
Nein, ich glaube, daß es verständlich ist, daß Israel sich meldet, soweit es Material hat. Aber taktisch ist es sicher nicht klug. Und soweit es Israel tat, weil es das Gefühl hat, alle Juden überhaupt zu vertreten, so ist zu sagen, daß ich von Alleinvertretungsansprüchen solcher Art überhaupt nichts halte, gleich ob sie aus Bonn oder aus Israel kommen.
Sie differenzieren häufig zwischen Juden und Zionisten. Setzen Sie die zionistische Bewegung mit dem Staat Israel gleich?
Der Staat Israel ist ein zionistischer Staat. Er ist nach den Gedanken der reaktionären Zionisten eingerichtet, so daß die Palästinenser, also auch israelische Bürger, die Palästinenser sind, weniger Rechte haben als die jüdischen israelischen Bürger. Und das kann ich nicht billigen.
Ich glaube, daß ein Staat Israel eine Lebensberechtigung hätte, ebenso wie Deutschland eine Lebensberechtigung hat, aber daß ein Staat Israel, der Bürger verschiedener Rechtsstufen postuliert, ebensowenig Daseinberechtigung hat wie das Dritte Reich sie hatte, weil es gegen die Menschenrechte und die Gleichberechtigung der Menschen verstößt.
Nicht jeder israelische Staatsbürger ist ein Zionist, und nicht jeder Zionist ist israelischer Staatsbürger. Aber Israel ist ein Staat mit einer nicht sehr erfreulichen Geschichte, ein anderer Staat als Juden wie die ganz linken Zionisten ihn sich vorgestellt hätten. Auch Martin Buber war sehr unglücklich über die Entwicklung der israelischen Politik.
Hat Buber Sie beeinflußt?
Ich bin mir dessen nicht bewußt. Ich finde ihn ungeheuer anständig. Aber ich glaube nicht, daß ich von Martin Buber beeinflußt bin. Ich glaube da eher, daß ich direkt und indirekt auf dem Weg über Brecht, der sehr stark von der Lutherbibel beeinflußt ist, von Luther beeinflußt bin. Brecht hat bekanntlich auf die Frage, was er als sein wichtigstes Buch sieht, gesagt: „Sie werden lachen: die Bibel.“
Wie sehen Sie heute Deutschland?
Es gibt in Deutschland immer noch zu viele irrationale Überreaktionen, zum Beispiel in der Terrorismusdiskussion. Das ist eine Überreaktion, an der nicht nur das deutsche Volk schuld ist, sondern die zum Teil absolut bewußt eingeleitet worden ist, indem man die Leute aufhetzt. Es wird zu politischen Zwecken Angst erzeugt, mit der man nicht recht weiß, was man damit anfangen soll und die deswegen auf irgendeinen Sündenbock konzentriert wird.
Wenn man zum Beispiel Angst hat, daß man, wegen der wirtschaftlichen Situation seinen Arbeitsplatz verlieren könnte, oder wegen der politischen Situation in einem Atomkrieg zugrundegehen kann, so werden viele Leute dann nicht versuchen, gegen diese Dinge Stellung zu nehmen, sondern werden Halt bei einer starken Regierung suchen - law and order. Das ist wie ein kleines Kind, das in einer Notsituation zum Vater oder zur Mutter zurückläuft. Der Gedanke, der dahintersteckt, ist: Wenn wir eine starke Regierung haben, wenn wir einen starken Mann haben, wenn wir uns an die von der Obrigkeit vorgeschriebenen Gesetze halten, werden die schon schauen, daß wir nicht kaputtgehen.“ Vater Staat.
Ich möchte, Stichwort Terrorismus, bei dieser Gelegenheit übrigens darauf hinweisen, daß ich immer noch der Überzeugung bin, daß weder Ulrike Meinhof, noch die drei anderen in Stammheim durch Selbstmord gestorben sind. Im Fall Ulrike bin ich überzeugt, daß es nicht beabsichtigt war, im Fall der anderen bin ich überzeugt, daß es beabsichtigt war. Ich verurteile trotzdem den Wahnsinn der Gewalttaten der RAF.
Sie sind Mitglied der britischen Labour Party. Mit welchen bundesdeutschen Parteien sympathisieren Sie?
Ich sympathisiere mit den Grünen, besonderes mit den Realos und ich sympathisiere mit Teilen der SPD. Ich glaube, daß die praktische politische Zukunft Deutschlands am besten wäre, wenn es sogenannte rot-grüne Bündnisse gäbe.
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