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Dubliner Studenten verhinderten Irving-Rede

Der britische Faschist und selbsternannte Historiker sitzt neun Stunden in der Universität fest und verpaßt Fernsehauftritt  ■  Aus Dublin Ralf Sotscheck

„Da wir ja jetzt in einem kleinen, sozusagen familiären Kreis sind, kann ich etwas abenteuerlicher argumentieren als in einer öffentlichen Veranstaltung“, sagt David Irving, britischer Faschist und selbsternannter Historiker. Der „familiäre Kreis“ besteht aus zwanzig Journalisten und Mitgliedern der „Philosophischen Gesellschaft“ der Dubliner Universität, die das Ende eines für Irving höchst unerfreulichen Tages miterleben. Es ist zwei Uhr morgens. Wir sitzen im Foyer von „Power's Hotel“ in der Innenstadt Dublins. Irving beklagt sich, Proteste gegen seine Person sei er zwar gewohnt, aber diese Art von „Terrorismus und psychologischer Einschüchterung wie in der irischen Hauptstadt“ sei ihm noch nicht untergekommen. Was haben die IrInnen ihm angetan?

Der in Irland relativ unbekannte Irving war von der „Philosophischen Gesellschaft“ des Dubliner Trinity College gegen den Willen der Universitätsleitung zu einer Diskussion eingeladen worden, wo er seine These vorstellen sollte, Hitler habe von den Judenvernichtungen nichts gewußt. Als Gegenredner soll ausgerechnet der erzkonservative Graf Nicolai Tolstoi fungieren, der Großneffe des Schriftstellers.

Schon eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn haben etwa tausend Demonstranten die Universität umzingelt und protestieren mit Sprechchören gegen Irving. Einige sind auf das Vordach geklettert und hämmern ständig gegen die Fenster des Veranstaltungssaals. Als dann auch noch eine Glastür zu Bruch geht, sagt die Universitätsleitung die Veranstaltung ab. Fünfzig Mitglieder der Philosophischen Gesellschaft können das Gebäude ungehindert verlassen - Irving jedoch nicht. So verpaßt er seinen Auftritt in einer Live-Talkshow des irischen Fernsehens. Um Mitternacht beginnt dann eine Farce, die gewisse Ähnlichkeit mit einem Agentenfilm hat. Einige Journalisten werden zu einem konspirativen Treffpunkt bestellt, von wo sie zu einer Pressekonferenz mit Irving gebracht werden sollen. Ein befreundeter Kollege weiht mich in das Geheimnis ein. Wir werden von einem Mitglied der Philosophischen Gesellschaft mit Hilfe eines Walkie-Talkie durch die Innenstadt dirigiert und landen schließlich im „Power's Hotel“ - Irving sitzt noch immer in der Universität fest. Aber Graf Tolstoi ist da und schimpft wie ein Rohrspatz - auf die „faschistischen Demonstranten“, die das Recht auf freie Meinungsäußerung mißachten.

Erst als die meisten DemonstrantInnen nach Hause gegangen sind, kann Irving nach neun Stunden durch verschiedene Kellergewölbe und einen Seiteneingang aus der Universität geschmuggelt werden. Um zwei Uhr nachts trifft er im „Power's Hotel“ ein und spult seine Thesen routiniert, fast gelangweilt herunter: eine bunte Palette faschistischen Gedankenguts. Irving ist keineswegs ein harmloser Spinner, sondern Gründer der gemeingefährlichen „Focus Policy Group“ mit beträchtlicher Anhängerschaft und engen Kontakten zu westdeutschen Rechtsradikalen. Der Gegenredner kann Irving nichts entgegensetzen - Graf Tolstoi ist längst betrunken. Morgens um vier ist die Welt dann wieder in Ordnung.

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