: Genscher als Handlungsreisender in Teheran
Geschäfte und Investitionen winken, aber der große Boom wird ausbleiben / Bonn zeigte sich gegenüber dem Khomeini-Regime schon immer konziliant / Auch Menschenrechtsverletzungen konnten die Kontinuität guter deutsch-iranischer Beziehungen nicht in Frage stellen ■ Von Beate Seel
Bundesaußenminister Hans Dietrich Genscher spielt gerne den Vorreiter. Als einziger Außenminister des westlichen Lagers besucht er seit Sonntag bereits zum zweiten Mal offiziell die Islamische Republik Iran. Sein erster Aufenthalt im Sommer 1984 fand drei Jahre nach der totalen Machtübernahme des Khomeini-Regimes statt und fiel in eine Phase finsterer Brutalität und Repression.
Doch nicht nur deswegen gibt es zwischen der Bundesregierung und der Führung in Teheran heute „keine besonderen bilateralen Probleme“, wie die Agenturen schreiben. Die Kontinuität bundesdeutscher Beziehungen auch in der Zeit der schwärzesten Diktatur im Iran zeigte sich beispielsweise in der Konzilianz, die die Bonner Behörden im Fall iranischer Schläger an den Tag legte, die ein Studentenwohnheim in Mainz überfielen, oder im Falle des Khomeini-Vertrauten Sadegh Tabatabai, der mit Opium am Flughafen erwischt wurde und im Nachhinein den Status eines Sonderbotschafters erhielt. Jenseits dieses Registers gab es aber auch noch eine andere Ebene der Bonner Politik, die in Teheran positiv aufgenommen wurde: die Bemühungen Genschers nämlich, die UNO-Waffenstillstandsresolution vom Juli 1987 von einigen zu offensichtlich pro-irakischen Formulierungen zu befreien.
Da also in bilateraler Hinsicht alles zum Besten steht, kann Genscher zusammen mit dreißig Vertretern bundesdeutscher Unternehmen von Siemens und Krupp bis zur Lufthansa direkt zur Sache kommen. Die Sache: Das ist nach dem Waffenstillstand nun das Wiederaufbaugeschäft. Internationale Finanzkreise schätzen den iranischen Warenbedarf auf 70 Milliarden Dollar, ein fetter Brocken also. Doch diese Summe muß auch aufgebracht werden; angesichts der schwer geschädigten Ölindustrie und niedriger Preise ist das gar nicht so einfach. Der Boom wird sich also gezwungenermaßen in Grenzen halten.
Das ist nicht das einzige Problem. Bei Genschers Gesprächen mit der Führungsriege des Khomeini-Regimes wird es auch darum gehen, welcher Kurs künftig eingeschlagen werden soll
-vor allem im Bereich der Privatwirtschaft, des Außenhandels und der Kreditpolitik. Unter den Spitzenpolitikern in Teheran gibt es sowohl offene Verfechter der Privatwirtschaft als auch solche, die in der Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen zum Ausland eine neue imperialistische Verschwörung wittern, mit dem Ziel, die islamische Revolution von innen zu untergraben.
Wenn der Handelsaustausch zwischen der BRD und dem Iran auch in den letzten Jahren zurückgegangen ist - die Bundesrepublik bleibt weltweit der beste Kunde für iranische Teppiche und Kaviar. Insgesamt exportierte sie 1987 Güter für 2,8 Milliarden Mark (1983: 7,7 Mrd.) in den Iran und führte Waren für 0,9 Milliarden (1983: 1,6 Mrd.) Mark ein.
Neben den wirtschaftlichen Fragen wird es in Teheran auch um die Vorbereitung eines deutsch-iranischen Kulturabkommens gehen. Und selbstverständlich will der deutsche Außenminister auch die Menschenrechtsfrage ansprechen. Nur gibt es in dieser Hinsicht bereits einschlägige Erfahrungen aus dem Jahre 1984, als Genscher zwar auf das Schicksal der verfolgten religiösen Minderheit der Bahai hinwies, sich aber zur Situation der politischen Gefangenen und der Aufhebung der gesellschaftlichen, politischen und individuellen Rechte weitgehend ausschwieg. In einem offenen Brief schrieb die „Liga zur Verteidigung der Menschenrechte im Iran“ letzte Woche, Genscher habe damals angekündigt, er wolle eine unabhängige Beobachterkommission über die Mißachtung der Menschenrechte einberufen. „Leider blieb dies eine Absichtserklärung“, heißt es in dem Text. Daß diese Frage aktuell bleibt, zeigen die jüngsten Meldungen von neuen Festnahmen und Hinrichtungen nach dem Waffenstillstand. Darunter fallen auch noch nicht volljährige Jugendliche, die 1981 inhaftiert wurden und nach sieben Jahren Haft als „Schuldige“ an Aktivitäten von Oppositionellen außerhalb des Gefängnisses hingerichtet wurden.
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