: GESCHMUSE STATT EROTIK
■ „Don Giovanni“ im Theater- und Probensaal der HdK
Die Opernaufführung der HdK, in Koproduktion der Fachbereiche Darstellende Kunst, Musik und Visuelle Kommunikation - der letztere präsentiert sich in einer interessanten Ausstellung der Plakatentwürfe im Foyer des Theater- und Probensaals - am Freitag abend stand auf musikalisch hohem Niveau. Dies ist bei Mozarts Don Giovanni freilich keine Selbstverständlichkeit. Man hatte nicht gerade das leichteste Werk des Repertoires ausgesucht. Die Frische, mit der musiziert wurde - im Orchestergraben und auf der Bühne - ließen aufhorchen, auf die singenden Akteure und ein Hochschulorchester, welches in dieser Produktion „seinen“ Klang gefunden hatte. Nicht zuletzt Harry S. Lyth am Pult drängte die Musiker immer wieder zu expressivem Spiel, sorgte für den nötigen „Drive“. Musterbeispiel, die erregt spannend musizierte Ouvertüre.
Leider fand der musikalisch durchweg positive Eindruck nur wenig Entsprechung im Bühnengeschehen. Eine konzeptionelle Idee in der Regie Günther Roths war nicht zu erkennen. Roth inszeniert in erster Linie Gänge, organisiert sozusagen den äußeren Ablauf auf der Bühne, greift fast nie zwingend die inneren Vorgänge der Personen auf. Und was alles in Mozarts Personen vorgeht, suggeriert die Musik auf deutlichste. Ein Beispiel: Zerlinas Arie im zweiten Akt - sie hat den von Giovanni verprügelten Masetto (Jochen Großmann) zu trösten ist in der Regie Roths kaum mehr als schüchtern, verhaltenes Geplänkel, dem jede Erotik abgeht. Ute Döring als Zerlina bringt die Situation in ihrer musikalischen Gestaltung hingegen auf den Punkt. Die fast „körperlich“ anmutende Musik läßt zum ersten Mal mit klarem Gestus ihre Beziehung zu Masetto erahnen. Bis dato war Zerlina mehr als nur verwirrt, von Giovannis „Anmache“ in Bann gezogen. Wir sehen auf der Bühne nicht das, was die Musik nahelegt: Es ist das übliche, weniger als zaghaft zu nennende, etwas peinliche Operngeschmuse am Schluß der Arie.
Roths Regie ist sicherlich darauf bedacht, die jungen, meist wenig erfahrenen Sänger nicht mit einer Flut von Regie -Einfällen zu überfordern, während diese ihren, zugegebenermaßen, schwierigen Part zu singen haben. Problematisch scheint jedoch der Mittelweg, den Roth zu beschreiten sucht. Als dramaturgisch schlecht in den Handlungsablauf eingefügt werden die beiden Arien Ottavios empfunden. Sie waren auf einen speziellen Sängerwunsch hin entstanden, dem Mozart sich, den Nuancen der Zeit gemäß, zu beugen hatte. Insofern stellen sie, werden sie nicht gestrichen, ein Problem für den Regisseur und den Sänger dar. Yukei Sato als Ottavio vermittelt Hilflosigkeit - in seiner ersten Arie hat die konzertante Aufführung die szenische, wie an anderen Stellen auch, eingeholt. Schade, Sato singt sehr schön und ausgesprochen kultiviert.
Was in der Regie weitgehend Fehlanzeige ist, vermitteln Bühne und Ausstattung (Deborah Kagel und Isabel Kork), nämlich Atmosphäre. Zwei hohe schwarze Wände, die fluchtartig aufeinander zulaufen, von denen die eine beweglich ist und schnelle Umbauten garantiert, sind in meist dunkles Licht getaucht. In dem wandlungsfähigen Bühnenraum wirken die Personen manchmal unproportioniert klein. Dieser Effekt kehrt sich dann um, als das Standbild des Komturs riesenhaft, gorillaartig im zweiten Finale in Erscheinung tritt.
Meist spärlich, die Ausstattung durch Requisiten. Wir bekommen das Gefühl einer bewußt leer gehaltenen Bühne.
Walter Felsenstein wird im Programmzettel zitiert: „Das musikalische Drama muß Welt gewinnen. Es muß in einem bestimmten Raum angesiedelt werden, der Welt wird.“ Sicherlich dehnbar für einen solchen Geschehnisraum übertragbar für ein solches Weltbild - ein völlig stilisierter Bewegungsablauf (wie etwa in J. Goschs Frankfurter Figaro-Inszenierung), in der jeder „Naturalismus“, der ja in Wirklichkeit eh keiner ist, vermieden wird.
Die Sänger, die die erste Vorstellung bestreiten, sollen nicht ungenannt bleiben. Es soll jedoch darauf hingewiesen werden, daß alle Rollen doppelt (bzw. dreifach oder vierfach) für die gesamte Serie an der HdK besetzt sind. Komisch, Joachim Bernauer als Leporello. Ute Biniaß - in feuerrotem Gewand - als Elvira mit dramatischer, leicht dämonischer Schärfe. Stimmlich großartig, zudem jugendlich, melancholisch schön, Anne Lisa Nathan als Donna Anna. Es bleibt die gekonnte Darstellung der Titelrolle, durch Paul Teddy Rasmussen, immer verführerisch, die pschologische Tiefe der Rolle stimmlich und musikalisch ausfüllend.
Bleibt zum Schluß das Zusammenwirken der Solisten in den Ensembles hervorzuheben. Mit Sicherheit eine der schwierigsten Aufgaben Mozarts Don Giovanni zu meistern, wie es den Studenten der HdK gelungen ist.
Anno Mungen
Heute abend noch einmal um 19 Uhr im Theater- und Probensaal der HdK.
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