AL und taz im ganzen überwacht

Auszüge aus dem Brief des Berliner SPD-Fraktionsvorsitzenden Walter Momper zur Bespitzelung von Parteien und der taz  ■ D O K U M E N T A T I O N

Geheime Sonderberichte

über die SPD

1981 haben CDU und FDP in Berlin die Regierungsverantwortung übernommen und zugleich den Sicherheitsausschuß des Abgeordnetenhauses abgeschafft, der auch die Kontrolle über den Verfassungsschutz ausübte und seine Berichte erhielt. (...) Bald danach hat der Verfassungsschutz damit begonnen, regelmäßige Sonderberichte über die SPD anzufertigen. In diesen Berichten wurden für einen bestimmten Zeitabschnitt mindestens die Punkte zusammengestellt, die über die „Annäherungen“ von Seiten der SEW penibel registriert worden waren. Umrahmt wurden die Sonderberichte nicht etwa mit Aussagen, wie fragwürdig die vielen „Belege“ aus der SEW -Zeitung 'Die Wahrheit‘ seien, sondern mit Feststellungen, daß man wahrscheinlich nicht alles im Blick habe, also das Ganze wohl noch schlimmer sei. Auch die Überschriften der Sonderberichte machen deutlich, welch Geistes Kind sie sind: War anfangs noch von Kontakten zwischen SEW und einzelnen Sozialdemokraten die Rede, so waren sie schließlich nur noch mit „Zusammenwirken von SEW und SPD“ überschrieben.

Sie sechs oder sieben SPD-Sonderberichte sind der SPD -Fraktion abredewidrig vorenthalten worden. (...) Grundsätzliche

Ausarbeitungen über die AL

Bald nach der Regierungsübernahme durch CDU und FDP ist ein leitender Beamter viele Monate mit einer breit angelegten Überprüfung beschäftigt worden, ob die AL im ganzen eine verfassungsfeindliche Partei sei. In einer umfassenden Ausarbeitung ist er zu einem bejahenden Ergebnis gekommen. Der damalige Innensenator hat intern festgestellt, daß er die Ausarbeitung und das Ergebnis für absolut zutreffend halte. Trotz seiner forschen Prinzipienfestigkeit hat er nichts unternommen. Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt hat er sich aber in hitzigen Diskussionen im Abgeordnetenhaus zu der Aussage hinreißen lassen, der verfassungswidrige Charakter der AL sei ja amtlich erwiesen.

Als 1986/87 unter großem öffentlichen Druck die Wiedereinrichtung einer parlamentarischen Kontrolle über den Verfassungsschutz für die Regierungsmehrheit unausweichlich wurde, hat sich der Verfassungsschutz, auch unter einem neuen Leiter, allgemein bemüht, vor Parlamentariern und vielleicht auch der Öffentlichkeit unvertretbar erscheinende Positionen zu überprüfen und gegebenenfalls zurückzunehmen. Dazu wurde auch der Auftrag erteilt, schnell eine neue Ausarbeitung darüber anzufertigen, daß die AL nicht verfassungswidrig sei, was auch in wenigen Wochen gelang. (...)

Beobachtung der AL und der 'Tageszeitung‘ (taz); Überprüfung der AL-Kandidatenlisten

Über die Beobachtung einzelner Personen mit extremistischem Hintergrund hinaus hat der Verfassungsschutz mindestens eine Reihe von Jahren die AL in wichtigen Teilen, wenn nicht praktisch im ganzen, und die taz im ganzen überwacht. Gegenteilige öffentliche Äußerungen des Senats, auch im Abgeordnetenhaus, waren bewußt auf Täuschung ausgelegt.

In der AL hat es, besonders ausgeprägt in Kreuzberg, V -Leute gegeben; auch andere nachrichtendienstliche Mittel sind eingesetzt worden. Ein Verfassungsschutz, der wegen des extremistischen Hintergrundes mancher AL-Mitglieder diese beobachtet, überwacht, selbst wenn er es theoretisch nicht vorhat, praktisch die ganze AL und ihre Gremien - das ist dann allerdings mehr ein Problem der AL als des Verfassungsschutzes.

Auch in der taz haben V-Leute gearbeitet; andere nachrichtendienstliche Mittel sind ebenfalls eingesetzt worden. (...) Der Verfassungsschutz hat vor den Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen die Kandidatenlisten der AL im ganzen systematisch überprüft. (...) Vernichtung

von Fluchthilfeunterlagen

Im Herbst 1986 hat sich der vormalige stellvertretende Amtsleiter, obwohl er dafür von seinem Aufgabengebiet überhaupt nicht zuständig war, wochenlang Unterlagen - auch mikroverfilmte -, insbesondere alte Fluchthilfeunterlagen, vorlegen lassen und selbst gesichtet. Trotz Widerspruchs zuständiger Mitarbeiter hat er einen großen Teil davon vernichten lassen.

Ob darunter auch Fluchthilfeunterlagen über bekannte Persönlichkeiten waren, wird sich nach der Vernichtung, wenn überhaupt, nur noch schwer ergründen lassen.

Auf Nachfrage von Abgeordneten ist die Vernichtung, wie wir heute wissen, wahrheitswidrig bestritten worden. (...) Beschäftigung oder Beobachtung von

Journalisten oder Vertretern anderer Berufs

gruppen mit besonderer Vertrauensstellung

Der Verfassungsschutz beschäftigt Journalisten als V-Leute, unter anderem einen, der früher für eine SPD-Zeitung arbeitete und gegenwärtig beruflich bei einer Hochschule tätig ist, regelmäßig berichtet und dafür ein Entgeld erhält. Jede Auskunft darüber wurde selbst in der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) - politisch unsinnig und gesetzeswidrig - verweigert.

Der Verfassungsschutz sammelt mit unvorstellbarer Selbstverständlichkeit Unterlagen über die Tätigkeiten einer großen Zahl von Journalisten. Nur bei Journalisten mit tatsächlich extremistischem Hintergrund mag das angehen. Insbesondere werden die veröffentlichten Artikel der Journalisten mehr oder weniger vollständig gesammelt und ausgewertet. Das galt besonders für die Journalisten, die für die taz arbeiteten oder früher einmal gearbeitet hatten, bis vor einiger Zeit die Beobachtung der taz als solcher eingestellt wurde. Für viele Journalisten nicht etwa nur der taz ist die Beobachtung dennoch bestehen geblieben oder neu aufgenommen worden, weil völlig ungeeignete neue „Anlässe“ (zumeist Ordnungswidrigkeiten) zur Grundlage weiterer Sammlungen gemacht worden sind. (...) Mordfall Schmücker von 1974

Nach dem jetzigen Stand der uns möglichen Einschätzungen der Geschehnisse und der immer noch nicht abgeschlossenen Gerichtsverfahren sind die Zweifel beträchtlich gewachsen, daß der Verfassungsschutz, die Staatsanwaltschaft und der polizeiliche Staatsschutz oder einzelne ihrer Mitarbeiter, aber auch bestimmte Angeklagte oder Zeugen in rechtsstaatlich mindestens bedenklicher Weise zusammengewirkt oder durch Handeln oder Unterlassen Gerichtsverfahren oder die gebotene parlamentarische Kontrolle beeinflußt haben.

Es gibt einige Anhaltspunkte dafür, daß die Wahrheit über das damalige Geschehen bis heute nicht auf den Tisch der politisch Verantwortlichen, der Gerichte und der parlamentarischen Gremien gekommen ist, auch nicht nichtöffentlich. Um so mehr bleibt die besorgte Frage, was wirklich vorgefallen ist und wer seitdem in welchen vielleicht fatalen - Abhängigkeiten stehen könnte.

Es gibt einige Anhaltspunkte dafür, daß Mitarbeiter des Verfassungsschutzes damals beteiligten Staatsanwälten, die in den letzten Jahren zumeist in führende Stellungen im Sicherheitsbereich übergewechselt sind, entweder nur die Sachverhalte vermittelt haben, die sie ihnen - aus welchen Gründen und mit welchem Richtigkeitsgrad auch immer vermitteln wollten oder aber alle Sachverhalte intern offengelegt haben, aber dann Regelungen dahingehend gefunden worden sind, welche Kenntnis die Staatsanwaltschaft offiziell hatte und den Gerichten vortrug.

Die Darstellungen, daß bestimmte Angeklagte und Zeugen mit anderen in unzulässiger Weise zusammengewirkt haben könnten, werden augenscheinlich nicht ohne jeden Grund immer wieder hartnäckig erneuert. Auch der kürzlich in der Presse berichtete mögliche Zusammenhang zwischen einem Beteiligten und einem unaufgeklärten Mordfall, in dem die Akten verschwunden waren, trägt nicht zur Verringerung von Besorgnissen bei. (...) Die Nichtoffenlegung der vollen Wahrheit ist damals vor allem mit dem Schutz beteiligter Mitarbeiter und V-Leute gerechtfertigt worden. Dies kann heute, insbesondere, nachdem der hauptbeteiligte Beamte verstorben ist (was übrigens auch von einzelnen angezweifelt wird) und andere verdeckt außer Lande sind, kaum noch gelten. Die Zweifel, daß hier immer noch fatale Abhängigkeiten - vielleicht bis hin zu Erpressungssituationen - bestehen, wachsen, nachdem in eine bestimmte Richtung jetzt noch einmal eine bald siebenstellige Riesensumme aus Steuergeldern aufgewendet worden ist. (...)