: Die UNO hat den Vertrag, die USA haben das Geld
„Warum nicht die UNO ganz von New York, wo sie jederzeit zur Geisel einer US-Laune werden kann, in das neutrale Genf verlegen, wo ohnehin schon heute die meisten UNO -Organisationen sitzen?“ Der britische 'Guardian‘ sprach am Montag aus, was viele Genfer UNO-Diplomaten und Beamte in diesen Tagen denken - was aber angesichts der Finanz-und damit Machtverhältnisse in den Vereinten Nationen derzeit völlig unrealistisch ist.
Die Empörung über die Entscheidung der US-Administration, ist - von Israel und wenigen anderen Ländern abgesehen zwar einhellig. Falls die US-Regierung - womit aber niemand ernsthaft rechnet - ihre Entscheidung nicht noch innerhalb der am Montag von der arabischen Liga gesetzten 48-Stunden -Frist revidiert, kommt es heute zu einer Verurteilung der USA durch die UNO-Generalversammlung. Zur Mehrheit unter den 159 Mitgliedsstaaten reichen schon die Stimmen der 77 nicht paktgebundenen plus die der Staaten des Warschauer Paktes. Dazu dürfte aber noch eine ganze Reihe westlicher Länder kommen. Eine Mehrheit wird auch für den Antrag arabischer Staaten auf eine Verlegung der Generalversammlung nach Genf erwartet - für den Zeitraum der gesamten Palästina- und Nahost-Debatte oder zumindest für den Arafat-Auftritt.
Finanznot
Doch wenn es dann zur Umsetzung dieses Beschlusses kommt'wird die Front der US-Kritiker bröckeln. Denn die UNO hat das Geld nicht, um eine - bislang noch nie erfolgte Verlegung der Generalversammlung weg von New York zu finanzieren. Zwar ist in Genf bislang keine endgültige Zahl zu erfahren. Doch abhängig davon, wieviele Delegierte pro Mitgliedsland sowie MitarbeiterInnen des UNO -Generalsekretariats nach Genf kommen, werden die Reise-, Hotel- und Spesenkosten auf bis zu 20 Millionen US-Dollar geschätzt.
Und schon jetzt steckt die UNO in der schwersten Finanzkrise ihrer Geschichte. Wesentlicher Grund ist die mangelnde Zahlungsmoral der USA, die laut UNO -Finanzschlüssel 25 Prozent des Etats aufzubringen haben. Am 31.Juli dieses Jahres schuldeten sie der UNO-Kasse noch 466,9 Millionen US-Dollar. Laut jüngster Aufstellung vom 23.November sind es immer noch 337,3 Millionen US-Dollar 214,9 für 1988 und 122,3 für 1987. Und es ist nicht damit zu rechnen, daß Washington ausgerechnet jetzt eine Zahlung leistet um damit den Auftritt Arafats vor der UNO -Vollversammlung in Genf finanziell zu ermöglichen.
Erst mit weitem Abstand folgen in der Liste der Schuldnerländer Südafrika mit 33,9 Millionen, Brasilien mit 17,9, Iran mit 12,1 und (ausschließlich für 1988) die UdSSR mit 7,2 Millionen. Für alle nicht rechtzeitig gezahlten Beiträge muß die UNO, will sie ihre laufenden Programme nicht gefährden, Kredite auf den internationalen Finanzmärkten aufnehmen, deren Rückzahlung mit Zins und Zinseszins ihre Finanzkrise weiter verschärft.
Arafat nur per Satellit?
Es wird daher damit gerechnet, daß Generalsekretär Perez de Cuellar einen Verlegungsbeschluß der Generalversammlung mit einem Finanzierungsvorbehalt begegnen und eine Entscheidung verlangen wird, an welcher Stelle Programme und Stellen gekürzt und gestrichen werden sollen. De Cuellar hatte die Haltung der USA am vergangenen Wochenende zwar eindeutig als Vertragsbruch kritisiert, sich zur Möglichkeit einer Verlegung nach Genf aber nicht geäußert. Als kostengünstigere Alternative zur Verlegung der Generalversammlung wird daher auch die Möglichkeit diskutiert, Arafat in Genf vor den dortigen Botschaftern der Mitgliedsstaaten auftreten zu lassen und seine Rede per Satellit in die New Yorker Generalversammlung einzuspielen.
Wie auch immer die endgültige Entscheidung aussieht - der ursprünglich für morgen geplante Arafat-Auftritt wird frühestens nächste Woche, vielleicht sogar erst auf einer Sonder-Generalversammlung im Januar stattfinden. Bei der Schweizer Bundesregierung zeigt man sich über die Möglichkeit, daß dieses in Genf stattfinden könnte, „hoch erfreut“. Auch Genf selbst ist gut gerüstet, es besitzt sowohl die notwendigen Konferenzeinrichtungen als auch Übernachtungsmöglichkeiten. „Wir sind bereit, sogar kurzfristig“, erklärt Jeanne-Louise Bieler, Chefin des Touristenbüros, voll Vorfreude auf zusätzliche Einnahmen. Da werden bei den Schweizern gleich Erinnerungen wach an die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als Genf sich neben New York um das UNO-Hauptquartier bewarb.
Doch eine dauerhafte Verlegung in die heute nach Tokio zweitteuerste Stadt der Welt scheidet aus Finanzgründen aus
-zumal seit der Dollar so schlecht gegen den Schweizer Franken steht. Außerdem, so meinen einige Diplomaten, müßte die Schweiz dann erst einmal selber UNO-Mitglied werden.
Andreas Zumach
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