Anglo-irische Beziehungen auf dem Nullpunkt

London verlangt Auslieferung des irischen Pfarrers Ryan / Irische Staatsanwaltschaft verweigert bislang Haftbefehl / Parteien in Irland verärgert über Margaret Thatcher / Irisches Parlament berät nächste Woche über Auslieferungsgesetze  ■  Aus Dublin Ralf Sotscheck

Die britische Premierministerin Thatcher hat am Dienstag der irischen Regierung vorgeworfen, daß sie es im Kampf gegen den „Terrorismus“ an Entschlossenheit fehlen lasse. In einer emotionsgeladenen Rede vor dem Unterhaus sagte Thatcher: „Obwohl die Regierung der Republik Irland schöne Reden hält, folgen diesen jedoch nicht immer die entsprechenden Taten.“ Die scharfe Kritik war durch die Weigerung des irischen Generalstaatsanwalts Murray ausgelöst worden, einen Haftbefehl für den 55jährigen katholischen Pfarrer Patrick Ryan auszustellen. Großbritannien hatte bereits am vergangenen Freitag dessen Auslieferung beantragt. Ryan werden „terroristische Verbrechen“ im Zusammenhang mit der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) vorgeworfen. In Irland haben die Äußerungen Thatchers bei allen politischen Parteien Verärgerung ausgelöst. Ein Regierungssprecher sagte, daß Pfarrer Ryan durch die britische Regierung und die Medien bereits vorverurteilt sei. Es sei daher sehr zweifelhaft, ob er ein faires Gerichtsverfahren erwarten könne.

Patrick Ryan stammt aus der irischen Grafschaft Tipperary. Er hatte in den letzten 15 Jahren keinen Kontakt mit seinem katholischen Orden, ist jedoch nicht aus dem Orden ausgeschlossen worden. Ryan wurde am 30. Juni dieses Jahres in Brüssel festgenommen, weil in Großbritannien gegen ihn ein Haftbefehl vorliegt. Dennoch stellte die britische Regierung erst zwei Monate später einen Auslieferungsantrag. Im Oktober verhandelte ein belgisches Gericht den Einspruch Pfarrer Ryans gegen seine Auslieferung und verwies den Fall an den belgischen Justizminister Wathelet. Vor vier Wochen trat Ryan aus Protest gegen die Auslieferungshaft in einen Hunger- und in der vergangenen Woche in einen Durststreik. Am Freitag lehnte der belgische Justizminister schließlich den britischen Auslieferungsantrag ab, weil dieser „sehr vage und fehlerhaft“ formuliert gewesen sei. Die Ryan zur Last gelegten Taten seien in Belgien nicht strafbar. Der Pfarrer wurde nach Dublin geflogen. Er hat sich nach seiner Ankunft in Dublin in eine Privatklinik begeben, die er am Montag ungehindert verlassen konnte. Sein derzeitiger Aufenthaltsort ist unbekannt. Der Fall Ryan hat die anglo -irischen Beziehungen erneut schwer belastet. Bereits in der Vergangenheit hatte es um die Auslieferung „mutmaßlicher Terroristen“ heftige Auseinandersetzungen zwischen London und Dublin gegeben. Die irische Regierung hatte zwar im letzten Jahr die europäische Anti-Terrorismus-Konvention unterzeichnet, jedoch eine Sicherung eingebaut: Großbritannien muß bei einem Auslieferungsantrag umfassende Beweise vorlegen. Bei der britischen Regierung hatte diese Sonderbehandlung Empörung ausgelöst. Der britische Generalstaatsanwalt Mayhew ignorierte die irischen Vorschriften zunächst, so daß niemand ausgeliefert wurde. Erst im Frühjahr gab Mayhew nach. Seitdem sind einige IRA -Mitglieder an die britischen Behörden übergeben worden. In Tipperary haben sich die Abgeordneten aller Parteien am Dienstag gegen eine Auslieferung Ryans ausgesprochen. Der stellvertretende Vorsitzende der britischen Labour-Partei sagte gestern, daß die Zukunft des anglo-irischen Abkommens von der Behandlung des Falls abhänge. Der irische Staatsanwalt Murray wird Anfang nächster Woche über die Auslieferung Ryans entscheiden. Gleichzeitig beginnt im irischen Parlament die Debatte über eine Verlängerung der Auslieferungsgesetze, die nur bis zum Jahresende Gültigkeit haben.