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Die Zukunft der Uni - „Aldi-Akademie“

15.000 Studenten und Schüler aus Nordrhein-Westfalen demonstrierten gestern in Düsseldorf gegen proppenvolle Unis und weiteren Stellenabbau/ „Die Hochschulen verkommen zu Forschungsstätten der Wirtschaft“  ■  Aus Bochum Süster Strübelt

Waren es 1982 noch 300 „Wiwi„-Erstsemester, wollen dieses Jahr 1.200 neue Studenten auf der Ruhrgebietsuniversität in Bochum das Diplom im Modefach Wirtschaftswissenschaften erwerben. Kein leichtes Anliegen, denn man muß die Vorlesung schon kurz nach Beginn wieder verlassen, um im anschließenden Colloquium einen Platz zu ergattern. Eifrige setzen sich schon zwei Stunden vorher in den Hörsaal, denn abgelegte Taschen auf dem Stuhl werden als Platzbesetzung von den Kommilitonen nicht mehr akzeptiert. Nur Freitagabend, schwärmt eine Studentin, gäbe es eine „gemütliche Gesprächsrunde“ mit nur hundert Leuten.

Erstsemester, die im Auto nächtigen oder auf dem Feldbett im Asta-Vorraum schlafen, Studenten die semesterlang auf Praktikumsplätze warten und Assistenten, die unter der Last der Prüfungskorrekturen zusammenbrechen - die Bochumer Ruhr -Universität ist hoffnungslos aus allen Nähten geplatzt. Daß ihr die Landesregierung nun auch noch 135 Stellen streichen will, das brachte selbst Universitätsrektor Knut Ipsen auf die Barrikaden: In seltener Eintracht mit dem Asta empfahl er den Universitätsangehörigen, gegen den „Hochschulnotstand“ auf die Straße zu gehen.

15.000 Studenten und Schüler aus Nordrheinwestfalen leisteten dem Aufruf Folge und reisten gestern zur Demo gegen die Bildungspolitik von Bund und Land nach Düsseldorf. Während der Auftaktkundgebung im Hofgarten protestierten Musikwissenschaftler gegen das Düsseldorfer „Streichkonzert“, Sinologen forderten: „Rettet die Exoten“ und die - gerade streikenden - Kölner Studenten prophezeiten auf einem Transparent die „Aldi-Akademie“ (Qualität zum Niedrigpreis). 483 Uni-Stellen werden in Nordrhein-Westfalen bis 1991 gestrichen, wenn der Landtag Mitte Dezember den vorgesehenen „Strukturwandel“ der Universitäten verabschiedet.

„Ausgetrocknet“ werden mit 60 Prozent der Kürzungen vor allem die Geistes- und Sozialwissenschaften, die damit in einigen Universitäten „nicht mehr studierfähig“ sind. Ein Teil der eingesparten Stellen wird nach den Strukturplänen der Landesregierung in die Naturwissenschaften und technischen Disziplinen umgelenkt werden. „Die Hochschulen sollen zu Forschungseinrichtungen der Wirtschaft verkommen“, schimpfte Freia Rosenkranz vom Asta-Düsseldorf auf der Kundgebung. Denn auch in diesen „Zukunftswissenschaften“ wird es nach Meinung der Studentenvertreter keine Erleichterungen für die Studenten geben, die sich z.B. in Bochum im Fach Chemie derzeit zu fünft einen Praktikumsplatz teilen. Während sich die Lernwilligen weiter mit kaputten Reagenzgläsern und Geräten aus den 70er Jahren quälen dürfen, soll nebenan ein neues Institut für Biochemie entstehen. Der Asta vermutet dort zukünftige Genforschung, denn „innovative neue Technologien“ hat sich die Landesregierung auf ihre Fahnen geschrieben. Drei neuzugründende Forschungseinrichtungen sollen gleich direkt der Landesregierung unterstellt werden.

Statt solch „profitorientierter Forschung“ (Freia Rosenkranz) fordern die Asten ein kurzfristiges Notprogramm zur Bewältigung des Studentenbergs und mittelfristig Pläne „zielgerichteter Investitionen“, an deren Ausarbeitung, die Rektorenkonferenz, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und die Vereinigte Deutsche Studentenschaft beteiligt werden sollten. Sie haben Grund zur Skepsis, was die guten Absichten der Politiker angeht. Von den zwei Milliarden Mark, die Bundesbildungsminister Jürgen Möllemann den Universitäten versprochen hat, werden die Studenten kaum etwas sehen: Die Gelder sollen zum größten Teil in die Forschung und in Aufbaustudiengänge fließen.

Erst nach dem Abschluß des Diploms kann dann ein Bochumer Wirtschaftswissenschaftler hoffen, in einem Graduiertenkolleg endlich in Kleingruppen zu lernen. Bis dahin muß er aber noch kräftig die Ellenbogen gebrauchen.

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