: Angst vor Aids-Patienten
■ Jeder dritte Arzt in der BRD will keine Aids-Patienten behandeln Umfrage legt Abwehrhaltung und Unkenntnis offen / Erster Welt-Aids-Tag
Berlin (taz) - 35,1 Prozent der Ärzte in der Bundesrepublik - mehr als ein Drittel - wollen keine Aids-Patienten behandeln. Auf diese erschreckende Abwehrhaltung in der Ärzteschaft wies der Münchner Hämatologe und Aids-Spezialist Hans Jäger in einem Interview zum Welt-Aids-Tag hin. Jäger, der eine Umfrage unter Ärzten zum Thema Aids vorgelegt hat, glaubt, daß viele seiner Kollegen mit homosexuellen Männern oder Drogenabhängigen nicht gerne arbeiten. Viele würden sich allerdings auch nicht zutrauen, einen Aids-Patienten zu behandeln. Nur 27 Prozent der Ärzte waren nach der Umfrage bereit, mehr Aids-Patienten zu übernehmen.
In der Umfrage, die Jäger auch der Enquete-Kommission des Bundestages vorgelegt hat, wurde auch das Fachwissen der Ärzte zu Aids abgefragt. Ergebnis: „Nur zwei Prozent der von uns befragten Mediziner haben alle vier vorgelegten Fragen richtig beantwortet.“ Ganze acht Prozent hätten drei richtige Antworten gegeben. Als konkretes Beispiel für die Ahnungslosigkeit in der Ärzteschaft nennt Jäger die „Pneumocystis-carinii-Pneumonie“, eine spezielle Form der Lungenentzündung, die bei Aids-Patienten typisch ist. Bei der Befragung hätten 16,7 Prozent der Ärzte angekreuzt, diese Erkrankung sei nicht erfolgreich zu behandeln. „Wenn wir sie frühzeitig diagnostizieren“, so Jäger, sei aber „in über 80 Prozent der Fälle eine erfolgreiche Behandlung des ersten Schubs dieser Pneumonie möglich.“ Eine nicht unerhebliche Zahl der Patienten sei sogar wieder arbeitsfähig. Jäger kritisierte, daß Ärzte und Patienten zu früh „die Flinte ins Korn werfen“ und daß sich ein nicht gerechtfertigter Nihilismus ausbreite.
Der Münchner Hämatologe verlangt, daß jeder Arzt mit dem Problem Aids vertraut sein muß und daß er in seinem Fachbereich auch Infizierte oder Kranke behandeln kann. 80 Prozent der mit Aids zusammenhängenden ärztlichen Versorgung könne ambulant gelöst werden.
Der Welt-Aids-Tag löste gestern eine Flut von Stellungnahmen und Appellen aus. Das Bundesgesundheitsministerium veröffentlichte die neuesten Zahlen mit dem Hinweis, daß die Epidemie sich langsamer als befürchtet ausbreite. 2.668 Menschen sind bisher in der Bundesrepublik an Aids erkrankt, von denen 1.099 gestorben sind. 26.900 Personen sind als infiziert gemeldet, wobei Doppelmeldungen in dieser Zahl enthalten sind.
Manfred Kriener
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen