Kröning macht kurzen Prozeß

■ Neue einheitliche Richtlinien für jugendliche und heranwachsende Straftäter / „Erziehung vor Strafe“ bei Bagatelldelikten / Einheitlicheres Vorgehen zwischen Justiz, Inneres und Jugend/Soziales / Effekt: Entlastung der Gerichte

Wer heimlich und gewitzt auf den teuren Champagner ein Preisschild vom billigen Sekt klebt, wer eine kleine Spritztour mit einem fremden Auto macht, wer für den Eigenbedarf ein bißchen Haschisch oder Marihuana in der Tasche trägt und dabei erwischt wird, wer ein Rad klaut, ohne allzu brachial vorzugehen, wer eine Privatperson nicht allzuschwer beleidigt oder wer schwarz mit der Bahn fährt, hat in Bremen ab 1. Januar alle Aussichten, ziemlich ungeschoren davonzukommen - zumindest als Jugendliche (14-18 Jahre) oder Heranwachsende (18-21 Jahre).

Als eine Art „pädagogischer Eskalation“ stellte gestern der Justizsenator Volker Kröning vor JournalistInnen neue gemeinsame Richtlinien für Jugendstrafverfahren vor, die am Vormittag von der Deputation einstimmig beschlossen worden waren.

Auf acht Seiten wird da - in Übereinstimmung mit den Justizministern der anderen Bundeslän der - konkretisiert und vereinheitlicht, was ohnehin geltendes Jugendgerichtsgesetz (§ 45) ist. Ob nämlich für Haschisch in den Taschen ein ganzes Strafverfahren aufgerollt, gemeinnützige Arbeit angesagt oder das Ganze mit einem Zwinkern im Auge des Polizeibeamten erledigt wird, das hing bislang vom „Ermessensspielraum“ der Staatsanwaltschaft und der RichterIn ab. Nach dem Grundsatz „Erziehung vor Strafe“ soll dieser Spielraum jetzt bei den beteiligten Amtspersonen einheitlicher - und das heißt liberaler werden.

„Diese kleineren Delikte sind jugendtypisches Verhalten, das in der Regel vorübergeht. Da soll der Staat nicht überreagieren“, wußte Hartmut Krieg, Abteilungsleiter für Strafvollzug in Krönings Behörde, aus der Statistik. Wenn nämlich für Schwarzfahren oder Bücherklau gleich die ganze Strafmaschine in Gang kommt, werden Straftäter erst produziert. Das wissen nicht nur linke Reformer.

Richterinnen und Staatsanwälte sind nicht an behördliche Richtlinien zu binden. Trotzdem erhofft Kröning sich durch den neuen Katalog mehr Sicherheit in den Ermessensspielräumen - und mehr Zusammenarbeit zur

Strafvermeidung zwischen Polizei, Justiz und der Jugendbehörde: „Bei der Zusammenarbeit zwischen der Jugendgerichtshilfe und den Gerichten hat es bislang sehr gehapert, das muß deutlich verbessert werden.“ StaatsanwältInnen sollen künftig verstärkt, ohne daß ein Richter erst einzuschalten ist, auf Anklage verzichten. RichterInnen sollen mehr Rückhalt haben, Verfahren einstellen und nur Ermahnungen aussprechen, ein Sozialtraining oder Verkehrsunterricht verordnen.

Ein genauer Wenn-dann-Katalog sind die Richtlinien allerdings nicht. Für die gleiche Tat oder die gleiche Tätergruppe können und muß unterschiedlich und nach „außerstrafrechtlichen erzieherischen Reaktionen“ gerechtet werden.

Natürlich hat das Ganze nicht nur einen pädagogischen, sondern auch einen handfesten praktischen Nutzen: „Wir entlasten natürlich auch die Justiz von Arbeit“, faßte Volker Kröning zusammen. Bei der Arbeitsbelastung der Gerichte kommen die Begatellstraftaten unsinnigerweise oft erst nach langen Monaten oder noch später zur Verhandlung.

Susanne Paa