: Die „seelische Erhebung“ geht zu Ende
Sonntagsarbeit im Dienstleistungsbereich / Einkaufen ist einfacher, aber das Beziehungsleben leidet / VHS ohne Krankenschwestern ■ Von S. Fuchs und W. Purk
Nachdem wir am letzten Samstag den Sonntag als solchen vorgestellt hatten, widmen wir uns heute dem Problem der Sonntagsarbeit auf dem Dienstleistungssektor. Am nächsten Wochenende geht es dann um die Sonntagsarbeit der Industrie (d.Red.)
„Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“ So formuliert es der Paragraph 140 des Grundgesetzes.
Wenn es nach dem Willen großer Teile der deutschen Industrie ginge, dann soll es mit der „seelischen Erhebung“ in Zukunft doch eher den Bach runtergehen. Die Angriffe auf ein gesetzlich geschütztes freies Wochenende wiederholen sich in den letzten Jahren in auffälliger Regelmäßigkeit und nahmen in den letzten Monaten deutlich zu.
Tatsächlich arbeitet, wie eine vom nordrhein-westfälischen Sozialministerium in Auftrag gegebene Studie belegt, bereits ein Drittel der Erwerbstätigen in der Bundesrepublik an den Wochenenden. Das sind mehr als sieben Millionen Beschäftigte. Etwa 3,8 Millionen, also mehr als die Hälfte, müssen sogar am Sonntag zur Arbeit, hat das Institut der Deutschen Wirtschaft herausgefunden. Die meisten davon an ein oder zwei Sonntagen im Monat.
Für Krankenschwestern gehört eine solche Regelung seit Jahrzehnten zum Alltag. Wenigstens zwei Wochenenden im Monat haben sie Dienst. Mit dieser Zeiteinteilung gehören Krankenschwestern zu der Gruppe von Erwerbstätigen, die sowohl Erfahrungen mit dem freien Sonntag als auch mit der Wochenendarbeit haben. Aus diesem Grund befragte die taz einige Krankenschwestern eines nichtstaatlichen Berliner Krankenhauses nach ihren Erfahrungen mit der Sonntagsarbeit.
Für die am Samstag/Sonntag geleistete Arbeit erhalten die Schwestern einen Sonntagszuschlag und einen Zeitausgleich von zwei Wochentagen. Je nach Flexibilität des Dienstplanes können sogar vier freie Tage aufeinander folgen, die sich eventuell für einen Kurzurlaub anbieten. Nachtschicht und Rufbereitschaft sind hier nicht Teil des Dienstes.
Das Angenehmste an dieser Arbeitszeitregelung seien die freien Tage während der Woche, sagt Schwester Sybille, seit sechs Jahren dabei. Diese stünden dann für den Einkauf, „für einen ausgedehnten Bummel“ oder für Behördengänge zur Verfügung. In der Regel jedoch gehen die freien Wochentage für die Hausarbeit drauf. Von Sonntagsruhe könne natürlich keine Rede sein, aber Entspannung müsse man nicht in der Ruhe suchen: „Die würde ich mir sonntags vielleicht auch nicht gönnen. Ich würde nicht auf dem Sofa sitzen bleiben.“ Gleichwohl fühlt sich keine der Befragten durch die Wochenendarbeit überlastet. Sie seien nicht überdurchschnittlich angestrengt in einer Woche mit Sonntagsarbeit, in der sie an den freien Tagen ihrer Hausarbeit nachgehen.
Für Martina, 23 Jahre, vier Jahre im Beruf, sind die freien Tage eine willkommene Möglichkeit, etwas zu unternehmen. „Es ist wenig Verkehr auf den Straßen. Die Geschäfte sind nicht so voll. Man kann ins Schwimmbad gehen, wenn es relativ leer ist.“ Was hier positiv verstanden wird, kann auf der anderen Seite als erzwungene Isolation empfunden werden. Obwohl Schwester Daniela, seit 20 Jahren im Beruf, die Vorteile der freien Tage gut zu nutzen weiß, sind ihr die persönlichen Beziehungen in dieser Frage wichtiger. „Wenn man häufig am Wochenende arbeitet, ist man in der Woche ziemlich isoliert. In der Woche steht ein Bekanntenkreis nicht so zur Verfügung.“
Alle Schwestern bestätigen, daß die Arbeit am Sonntag ihr Privatleben beeinträchtigt. Die Schwierigkeiten liegen vor allem darin, die privaten Kontakte zu organisieren. Es kann sogar dazu kommen, daß die Beziehungen abbrechen. „Wenn man das Wochenende arbeitet, dann schlafen auch häufig Kontakte ein.“
Was die eigene Familie angeht, ergeben sich ähnliche Probleme. Ausflüge der Familienfeiern müssen weit im voraus geplant und mit allen Mitgliedern der Familie abgestimmt werden. In besonderem Maße leidet das Familienleben, wenn über die Sonntagsarbeit hinaus beide Partner im Schichtdienst tätig sind. Eine Kombination von Sonntags- und Schichtdienst kann dazu führen, daß das Zusammenleben in hohem Maß eingeschränkt wird und Ehe oder Beziehung scheitern. „Einer kommt, der andere geht. Das macht kaum jemand so richtig mit. Dann gibt es nämlich den ersten Knatsch. Wenn man sich nur noch 'Guten Morgen‘ und 'Guten Abend‘ sagt, dann ist die Sache erledigt.“
Für die am Sonntag arbeitenden Schwestern ist es auch nicht einfach, sich einem Verein anzuschließen. Die Möglichkeiten, sich durch den Sport einen Ausgleich zum Berufsleben zu verschaffen, sind rar.
Schwester Martina ist in einem Verein und spielt Basketball. „Beim Training und auch den Spielen am Wochenende kann ich nicht regelmäßig dabei sein. Wenn ich die Dienste nicht tauschen kann, dann muß ich eben mein Team enttäuschen. Das ist schon ein ewiges Hin und Her.“ Schwester Daniela hat diese Probleme auf andere Weise gelöst. Sie spielt Tennis und kann die Zeit, die sie dafür benötigt, variabel gestalten. Ganz unmöglich ist es den Schwestern, sich an VHS-Kursen zu beteiligen. Solche langfristige Terminplanung läßt ihr unregelmäßiger Dienstplan nicht zu.
Auf die Frage, ob sie bereit seien, an jedem Wochenende im Monat zu arbeiten, reagieren die Schwestern äußerst heftig. „Ich würde mich strikt dagegen wehren. Jeder zweite Sonntag muß wirklich schon frei sein“, sagt Petra. Das sei das Mindeste, was sie verlangen würden.
Die Aussagen der Krankenschwestern machen zwei unterschiedliche Positionen zur Sonntagsarbeit deutlich. Die Vorteile der freien Tage in der Woche, vor allem bei der Wahrnehmung des Dienstleistungsangebotes, stehen den Nachteilen eines eingeschränkten Familienlebens gegenüber. Nun hat nicht jeder eine Familie oder regelmäßige Verpflichtungen am Wochenende. Diejenigen ohne Familie, deren Bekanntenkreis sich durch die gleiche Flexibilität auszeichnet, werden von der Sonntagsarbeit profitieren können. Diejenigen jedoch, die Familienleben haben und in geregelte Kommunikationsstrukturen eingebunden sind, werden sich über die Sonntagsarbeit nicht freuen können.
Die Sonntagsarbeit befindet sich auf dem Vormarsch. Ihr Arbeitnehmerideal ist der flexible, alleinstehende, kinderlose Konsument der Angebote der Freizeitindustrie, vorrangig zu finden in den großen Ballungsräumen.
Die Industrie hat auf diese Spezies, die auf Bindungen zur Familie weitgehend verzichtet, schon längst reagiert. Wie ein Kommentar zum Problem der Sonntagsarbeit liest sich ein Debattenbeitrag auf einem Arbeitgeberkongreß unter dem Motto Menschen machen Wirtschaft:
„Wenn wir nicht wollen, daß die Menschen den Wandel aus Angst vor der eigenen Zukunft ablehnen, müssen wir ihnen in den Betrieben die Sicherheit zurückgeben, die sie früher einmal in der Großfamilie gefunden haben.“
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