Griff an die Fußballer-Ehre

■ Zur Saison-Halbzeit einen Rückblick auf die Wende, Fußballbeamte, Dagobert Duck und die sexualpädagogisch schwierige Problematik des Trainingslagers

Die Wende kam gleich nach Korea: Und der nette Lockenkopf aus dem Allgäu, der Bremen für Provinz hält und deshalb so gern in Findorff wohnt und Tore für Werder schießt - der Riedle Karl-Heinz also faßte nochmal allgemeinverständlich zusammen, wie es dazu gekommen war: „Wir waren so heiß wie noch nie. Unser Trainer hatte uns bei der Ehre gepackt.“

Nur da werden Fußballer schließlich von ihren Trainern gerne angepackt.

Resultat: Werders 5:0 gegen die leergelaufenen Dynamos aus

Berlin. „Das zweite Wunder“ (so Rehhagel) im Europa-Pokal, am 12. Oktober live im Weserstadion zelebriert, war dann auch der Auftakt zur Rückkehr des Meisters. Vier Wochen Bundesliga-Pause (wegen der gleichzeitigen Doping-Festspiele im koreanischen Seoul) und der beherzte Griff an die Fußballer-Ehre brachten Werder wieder auf Kurs.

Davor aber war Werder sogar vom Hamburger Amüsierviertel St. Pauli, tabellenmäßig, abgehängt worden und hatte im Europa-Pokal bei den Volksüberwachern des Stasi-Klubs Dynamo (beim 0:3) totale Torsperre verordnet bekommen. Nicht mal, weil es spielerisch gar so schlecht gelaufen wäre, aber vor allem, weil bei Werder keiner mehr so recht wußte, wie es ist, mit dem ungewohnten Titel „Meister“ durch die Fußballrepublik zu reisen. Inzwischen aber läuft die Werder Maschine wieder: überlegenes Fußballspiel, Zweikampfstärke im Mittelfeld, der ebenso gottesfürchtige wie großartige Rune Bratseth als Libero und der Kopf von Frank Neu

barth. Zuletzt gab es sogar mal Reminiszenzen an die große letzte Saison, als Werder-Gegentore etwa so häufig waren wie Schneefälle im August: Im November blieb Oliver Reck gut 530 Bundesliga-Minuten ohne Gegentor. Die Statistiker waren gerührt.

So ist zur Jahreswende alles wie immer: Werder jagt die Bayern. Aus den letzten acht Spielen holte Bremen nochmal satte 14:2 Punkte ohne doppelte Punktpleite. Die letzte gab es am 22. Oktober in Köln. Aber seither hält ein ziemlich langer Mensch namens Frank Neubarth regelmäßig den Kopf in Bremer Flankenbälle, und die Fernsehleute freuen sich, weil man die schönen Kopfbälle alle schon mal sammeln und dann für den Jahresrückblick hart hintereinanderschneiden kann. Beim 3:3 in Stuttgart schwärmten Publikum und Journalisten schon wieder von Bremens Spielzügen und - unfaßbar - sogar Rehhagel äußert sich optimistisch.

Zum Ende der Herbstsaison liegt Werder nur noch drei Punkte hinter den Bayern, was Otto Rehhagel immer erstaunlich findet, da

im Münchner Olympiapark bekanntlich Onkel Dagobert als Schatzmeister die Geldberge verwaltet, während Werders Willi Lemke inzwischen dazu übergeht, ganz Spiele an Unternehmen zu verhökern. Nach Lemkes letzten Monat vorgestelltem Modell kauft ein Werbepartner alle Karten auf einen Schlag. Denkbar wäre dann die Tribünenkarte gratis zum Kasten Becks oder zweimal Stehplatz Ost zur Palette Kittekat. Das läßt Hoffnungen keimen, daß auch in Bremen bald der erste Geldspeicher steht.

Die beste Meldung der Hinrunde: Werder-Vize Fischer möchte Otto Rehhagel lebenslänglich unter Vertrag nehemen und den 400.000,-- jährlich verdienenden Otto mit einer Altersrente locken. Die Spieler sind dafür. Einen Trainer, der so aus dem Leben kommt, kriegen sie nie wieder. Hatte Rehhagel doch zum Thema Trainingslager einer Illustrierten gesagt: „Das ist Quatsch. Was soll eine Spieler drei oder vier Wochen ohne Frau machen? Auf der Toilette onanieren, oder was?“

Freddie Röckenhaus