: Pleitewerft als „Zukunftswerkstatt“
Die Jansen-Werft in Leer ging vor 18 Monaten in Konkurs / Mit einem Sturm aufs Werfttor verhinderte die Belegschaft im Oktober die Zwangsversteigerung / Jetzt denkt sie über eine Betriebsweiterführung und ein alternatives Produktionsprogramm nach / Ideenfelder: Umweltschutz und ostfriesische Lebensqualität ■ Von Michael Weisfeld
Die Betriebsversammlung der Jansen-Werft am letzten Mittwoch begann mit Fernsehgucken. Der Festsaal im Hotel „Ostfriesenhof“ in Leer war abgedunkelt. Gespannt verfolgten die über 300 Werftarbeiter die Aktionen auf dem Bildschirm, denn sie selbst waren die Akteure. Vor laufenden Fernsehkameras hatte sie am 25.Oktober verhindert, daß ihre Werft unter den Hammer kam. In letzter Minute. Denn während sie draußen vor dem geschlossenen Werfttor eine Kundgebung abhielten, hatten der Auktionator und seine Kundschaft sich schon auf die Werft geschlichen. Die Nachricht sickerte jedoch durch, und die Arbeiter hoben kurz entschlossen das Tor aus den Angeln. Kurz darauf fielen in der Auktionshalle Tische und Stühle um.
Nach der Verhinderung des Ausverkaufs soll jetzt der nächste Schritt folgen: Die Belegschaft will überlegen, was sie auf ihrer Werft außer Schiffen noch bauen und in der Umgebung verkaufen kann. Wo die Schiffbauerfamilie Jansen Pleite ging, soll aus den Ideen der Belegschaft etwas Neues entstehen, eine „Zukunftswerkstatt“, wie es die IG Metall nennt.
Seit 18 Monaten schwebt die Belegschaft nun schon zwischen Bangen und Hoffen. Im April 1987 ging ihre Werft in Konkurs. Es sollte der 19.norddeutsche Schiffbauplatz sein, der seit Beginn der Werftenkrise in den siebziger Jahren verschwindet. Für die Bonner Strukturplaner kam die Pleite in Leer wie gerufen. Als ein Beitrag zum Abbau von Schiffbau -Überkapazitäten.
Aber die Belegschaft ist immer noch da: als Störfaktor. Der Konkurs hat sie nicht in alle Winde zerstreut. Denn Betriebsrat und IG Metall haben dafür gesorgt, daß alle Arbeiter formell bei der Werft beschäftigt blieben. In Umschulungseinrichtungen qualifizieren sie sich weiter oder werden sogar in neuen Berufen ausgebildet. Dafür erhalten sie die übliche Unterstützung vom Arbeitsamt. Die Differenz zu ihrem früheren Lohn legt der Konkursverwalter drauf.
Wesentliches Ergebnis dieser Umschulung und von der IG Metall beabsichtigt: Die Werft blieb im Blickpunkt ihrer früheren Arbeiter. In den Umschulungskursen waren die Schiffbauer mit ihren früheren Kollegen zusammen. Zumindest bei den Betriebsversammlungen sahen sich dann alle wieder. Die Hoffnung ist bis heute erhalten: Wenn die meisten Umschulungsmaßnahmen im Frühjahr des kommenden Jahres auslaufen, dann wollen die Leute Arbeit haben - auf der Jansen-Werft. Bei mehr als 20 Prozent Arbeitslosigkeit haben die meisten von ihnen auch gar keine andere Chance.
Die Stadt Leer und das Land Niedersachsen sollen die Werft übernehmen, forderten die Arbeiter. Aber: Leer ist arm, und Niedersachsen wollte nicht. Eine Gruppe ostfriesischer Reeder fand sich schließlich zu einer „Erwerbergemeinschaft“ zusammen und verhandelte mit den Gläubigern.
Wer immer wieder querschoß, ist der Konkursverwalter, der Bremer Rechtsanwalt Richard Schulze. Er versuchte mehrmals, die Werft zu liquidieren - durch eine Auktion oder durch den stückweisen Verkauf der Ausrüstung. Doch jedesmal rief das die Arbeiter zu Demonstrationen auf den Plan. Im Juli dieses Jahres besetzten sie stundenlang das Rathaus. Der Konkursverwalter spielte die Rolle des Buhmanns, während die staatliche Norddeutsche Landesbank und die Regierung in Hannover jederzeit warme Worte für die Werftarbeiter bereithielten. Schulze war es auch, der den Auktionstermin vom 25. Oktober in die Zeitungen setzen ließ, den die Werftarbeiter so spektakulär platzen ließen.
Die „Erwerbergemeinschaft“ der ostfriesischen Reeder besteht noch heute. Die Belegschaft fordert, daß die Gläubiger ihr die Werft preisgünstig übergeben. Wenn die Reeder dann ihre Schiffe auf den Helgen reparieren lassen, will die Belegschaft nebenbei ihre neuen Produkte entwickeln und herstellen. Was das sein könnte, darüber berieten sie in der vergangenen Woche im „Ostfriesenhof“.
Zum Brainstorming zogen die Arbeiter sich in Arbeitsgruppen zurück. Windkraftwerke, Biogasanlagen, Auffangtanks für Regenwasser, mit dem dann Waschmaschinen und WCs versorgt werden sollen. Die Jansen-Arbeiter bewiesen, daß sie auf der Höhe der Diskussion sind, wenn es um ökologische Produkte geht. Aber auch die Probleme ihrer ostfriesischen Heimat spielten eine Rolle: „Unsere Fehnkanäle“, sagte einer in ostfriesischem Platt, „früher haben wir darin gebadet und geangelt. Heute kannst du nicht mehr reingucken. Alles grün vor Algen. Das kommt von den Düngemitteln. Unter den Brücken müßten wir Rührwerke bauen, damit wieder Sauerstoff ins Wasser kommt.“ Über Windrotoren sollten diese Rührwerke angetrieben werden, damit sie keine teure Energie verschlingen.
Kraft aus Wind, damit wollte ein anderer Redner die Verkehrsprobleme des weiten ostfriesischen Landes lösen: „Wenn du hier kein Auto hast, dann bis du aufgeschmissen. Busse fahren überhaupt keine. Sowas müßten wir haben, ein Ringverkehr über die Dörfer. Mit einer Nahverkehrsbahn, für die der Strom aus der Windkraft gewonnen wird. Denn Wind haben wir in Ostfriesland genug.“ Ein dritter erzählte von der Hühnerfarm seines Schwagers: „Da fällt soviel Mist an, das könnt ihr euch nicht vorstellen. Wenn man die Scheiße trocknen würde, mit der Wärme aus dem Stall, und dann zu Blumenerde verarbeiten... Sowas können wir doch alles bauen.“
Daß sie alles mögliche bauen können, darauf verweisen die Werftarbeiter selbstbewußt immer wieder. Nicht zu unrecht. Der Spezialschiffbau früherer Jahre hat die verschiedensten Qualifikationen erfordert.
Bettina Demmer, beteiligte Wissenschaftlerin, legt den Jansen-Arbeitern auf der Versammlung dar, was aus ihrer Werft werden kann: Ein „produktives Bündel von Dienstleistungen, keine Monostruktur“ mehr wie früher. Das Arbeitskräftepotential (Demmer: „Das seid ihr“) und der Maschinenpark müsse mit den „regionalen Bedarfen“ abgestimmt werden, also mit dem, was in der Gegend verkauft werden kann. „Ihr seid die Träger der Problemlösungen“, machte sie den Arbeitern Mut. Die Rolle der Wissenschaftler dabei: Sie sollten sich um die Arbeitsorganisation, das Marketing und die Finanzierung kümmern.
Schon in den nächsten Wochen soll ein „Vor-Ort-Team“ aufgebaut werden, geleitet vom Betriebsratsvorsitzenden der Werft, Enno Wübbens. Workshops und Wochenendseminare sind bis ins nächste Frühjahr geplant. Unklar ist bisher noch die Finanzierung dieser Arbeit. Die „Innovationsberatungsstelle der IG Metall“ in Hamburg hat die Wissenschaftler von Berliner und Dortmunder Instituten zwar zusammengebracht. Finanzieren wird sie ihre Arbeit aber nicht. Deshalb wird mit einem Geldgeber verhandelt, dem man die Finanzierung eines solchen Projekts erstmal nicht zutraut: Mit dem „Rationalisierungskuratorium der deutschen Wirtschaft“.
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