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Therapie für Vergewaltiger

■ 21jähriger gesteht Vergewaltigungsversuch / Freiheitsstrafe auf Bewährung / Psychologische Betreuung in Bremen völlig unzureichend

Bereits viermal war Martin B., jetzt 21 Jahre alt, in der Vergangenheit vom Jugendrichter wegen sexueller und exhibitionistischer Handlungen ermahnt worden. Gestern stand er erneut vor dem Kadi: Wegen versuchter Vergewaltigung. Trotzdem braucht er noch keine Bekanntschaft mit dem Knast zu machen. Das Bremer Schöffengericht verurteilte ihn zu einem Jahr Freiheitsentzug auf Bewährung - als letzte Chance, wie der Vorsitzende Richter Klaus Richter in der Urteilsbegründung sehr deutlich zu verstehen gab.

Ohne Umschweife gestand Martin B. gleich zu Beginn des Prozesses, daß er im April 1986 in einem Kleingartengebiet in Bremen die 39jährige Elisabeth H. angehalten, von ihrem Fahrrad gezwungen hatte und vergewaltigen wollte. Weil die Frau laut um Hilfe rief, hatte er schließlich von ihr abgelassen. Auf Nachfrage sagte die gestern sehr ruhig wirkende Betroffene, daß sie der Überfall immer noch beschäftige. Den Tatort hat sie seither gemieden. Doch damit war ihr Schicksal dann auch juristisch abgehakt. Das Interesse des Gerichts galt

dem Täter.

Die Tat sei nicht geplant gewesen, sondern unüberlegt, aus einem Impuls heraus geschehen, sagte der psychiatrische Gutachter Dr. Richard von der Klinik Ost gestern vor dem Gericht. Martin B.ist durch eine Lähmung des Gaumensegels stark sprachbehindert. Diese Behinderung hat ihn auch in seiner Entwicklung blockiert. So habe er nach Meinung des Gutachters seine Persönlichkeit nicht ausprägen können und nie ein normales Verhältnis zur Sexualität gewonnen. Trotzdem müsse er als voll schuldfähig gelten. Die Gefahr einer Wiederholungstat sei groß.

„Ich halte ein soziales Trainig mit einer umfassenden Kontrolle seiner Handlungs- und Freizeitmöglichkeiten für notwendig“, begründete Richard die aus seiner Sicht unverzichtbaren Rahmenbedingungen für eine erfolgversprechende Therapie. Eine ambulante Psychotherapie sei da nicht ausreichend. Aber auch die Unterbringung in der geschlossenen Psychiatrie würde diesem Ziel nicht dienen da käme Martin B. nie wieder raus.

Zur Zeit wohnt der 21jährige in einer betreuten Wohngruppe im Haus Hardenberg. Prinzip dieses Hauses ist es, die Bewohner durch

ausreichende Freiräume zu einem selbstverantwortlichen Leben zu erziehen. Darüber hinaus verfügt das Haus auch nicht über eine ausreichende personelle Besetzung und entsprechend ausgebildete MitarbeiterInnen, um die von Dr. Richard für notwendig gehaltenen Erfordernisse zu erfüllen. Aber Martin B. hat sich hier ein soziales Umfeld geschaffen - und Alternativen gibt es weder in Bremen noch in der Umgebung .

„Dies ist ein gesellschaftliches Problem“, sagt der Leiter der Bremer Werkstatt, dem ehemaligen Martinshof, in dem Martin B. seit etwa einem Jahr arbeitet. Das dürfe nicht auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen werden.

Nun darf Martin B. in seiner vertrauten Umgebung bleiben, erhielt aber einen deftigen Denkzettel. Die Bewährungszeit dauert vier Jahre und enthält die Auflage, daß sich der Verurteilte in therapeutische Behandlung begeben muß. Darüber hinaus muß er 600 Mark Geldbuße an die Notrufgruppe für vergewaltigte Frauen zahlen. In der Urteilsbegründung forderte Richter Klaus Richter den Verurteilten sehr intensiv auf, zukünftig das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit zu achten. om

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