piwik no script img

Vierzig Jahre FU, zwanzig Jahre NoFU

■ No future mit der NoFU für die FU / Uwe Wesel über das vierzigjährige Gründungsjubiläum der Freien Universität Berlin, das kein Grund zum Feiern ist

Was ist eine Universität? Da stellen wir uns ganz dumm und sagen so: Eine Universität, das ist Herr Zahn. Eberhard Zahn, unscheinbar, klein, blond, 50-60 Jahre alt, wissenschaftlicher Angestellter, Diplompsychologe, und statt zu promovieren, hat er sich vor knapp 20 Jahren unendlich emsig damit beschäftigt, im Auftrag der NoFU die Teilung des Psychologischen Instituts zu betreiben. Jetzt, rechtzeitig zur 40-Jahr-Feier, war er genauso emsig, der Motor, im Auftrag der NoFU die beiden geteilten Institute wieder zu vereinen, jedes Mal mit vollem Erfolg und gegen den Widerstand der Linken. Die Diktatur des Stiefelknechts.

Am Sonntag morgen saß er im Audimax, es gab gute Musik, der Bundespräsident war da, Frau Professor Schwan hielt eine Festrede, und hinterher gingen hundert ehrenwerte Menschen zum Mittagessen in das Hotel Intercontinental. Injeladen, nich nur uffjefordert, wie man hier in Berlin sagt. Man hatte Grund zum Feiern. Nicht nur die linken Psychologen waren eine Woche vorher beseitigt worden, sondern noch so ein Pfuhl, das Lateinamerika-Institut, war dem konservativen Fachbereich Neuere Philologien zugeordnet. Auch die haben nun keine Zukunft mehr. Damit waren zwar wieder mal die Studenten provoziert, die Polizei vor dem Saal, einige Institute besetzt und draußen neben der Feier einige Unruhe. Aber im großen und ganzen konnte man zufrieden sein. Guten Appetit.

Die NoFU? Ach, das ist eine lange Geschichte, hat etwas mit no future zu tun, aber nicht für die betreffenden Herren, sondern für die Freie Universität, der sie sich zur Verfügung stellten, als 1968/69 die Hochschulreform kam, und sie in Gefahr waren, nicht mehr alles bestimmen zu können. NoFU ist Hochschulmissingsch statt Notgemeinschaft für eine Freie Universität. Eine Kampforganisation konservativer Professoren und, durchaus repräsentativ, solcher Leute wie Eberhard Zahn. Sie haben viel Geld von der Industrie, einen gutbezahlten Geschäftsführer, eigenen Fernschreiber und nun auch schon eine Vergangenheit. Und was für eine! Dabei hatte einmal alles ganz ehrwürdig angefangen, vor vierzig Jahren.

Das scheint ja neuerdings ein Datum zum Feiern zu sein, wie man fürs nächste Jahr aus der Bundeshauptstadt hört, vielleicht weil die Fünfzigjahr-Feiern in letzter Zeit so peinlich waren. Vor vierzig Jahren wurde die Freie Universität gegründet, im Winter 1948/49, während der Blockade, auf Initiative liberaler Studenten, die damit auf die autoritäre Lenkung der Lindenuniversität durch die Behörden im Ostsektor reagierte. Drei von ihnen hatte man gerade von der Universität gewiesen. Also eine antikommunistische Gründung, aber auch, das darf nicht unerwähnt bleiben, eine antifaschistische. Man hatte den totalitären Staat der Nazis hinter sich, jetzt noch die Erfahrungen mit dem kommunistischen und wollte endlich was Eigenes. So bekam die FU als erste deutsche Universität eine Verfassung, die sich dem Einfluß staatlicher Behörden weitgehend entzog und in der die Studenten für damalige Verhältnisse erstaunliche Mitwirkungsrechte hatten. Noch heute sind die Professoren Beamte der Universität und nicht des Landes. Sie werden vom Universitätspräsidenten ernannt und nicht, wie sonst, vom Kultusminister. Das hat nur leider nichts mehr zu sagen. Auch das ist eine lange Geschichte.

Damals, 1948, fing man an mit zweitausend Studenten und einigen Dutzend Professoren und Angestellten. Heute ist die FU ein Riesenbetrieb mit einem Haushalt von einer Milliarde Mark im Jahr, fast 60.000 Studenten, 1.000 Professoren, 6.000 Assistenten und anderen Mitarbeitern. Sie ist ein Zentrum der deutschen Philosophie, der Politikwissenschaft und der Physik. Ihre Geschichte besteht aus vier Phasen, zwei langen und zwei kurzen. Erste lange Phase: Der Aufbau von 1948 bis 1965. 17 Jahre. Danach, zweite Phase, die Studentenrevolte, von 1965 bis 1969, vier Jahre. Dann, die dritte Phase, vier Jahre Hochschulreform von 1969 bis 1973. Wir sind jetzt in der vierten. Das ist die Gegenreform, 15 Jahre von 1973 bis 1988.

Die erste Phase ist schnell geschildert. Das war der Aufbau aus tiefster Not mit viel amerikanischer Hilfe. Das meiste Geld kam von der Henry-Ford-Stiftung. Die Universität wurde langsam seriös, was sich auch darin äußerte, daß man die Beteiligungsrechte der Studenten allmählich immer mehr zurückdrängte. 1963, zwei Jahre vor der Studentenrevolte, gab es ein kurzes Vorspiel, das zeigte, wie politisiert die Studentenschaft hier immer war. Der Konvent, das Studentenparlament, hatte einen Korporierten zum AStA -Vorsitzenden gewählt. In einer Urabstimmung aller Studenten wurde er wieder abgesetzt, weil das Verbot von Korporationen, Corps und Burschenschaften von Anfang an Ausdruck der demokratisch-liberalen Gründung dieser Universität gewesen war. Am Sonntag saß er mit Herrn Zahn und dem Bundespräsidenten im Audimax. Eberhard Diepgen, als Regierender Bürgermeister.

Mit der Studentenrevolte hat die FU deutsche Geschichte gemacht. Es begann mit der Affäre um Erich Kuby, der am 7. Mai 1965 zum 20. Jahrestag der Kapitulation sprechen sollte, auf Einladung des AStA, aber nicht durfte, weil der Rektor sich auf ein Hausverbot berief, das ausgesprochen worden war, weil Kuby früher mal gesagt hatte, der Name FU bringe ein äußerstes Maß an Unfreiheit zum Ausdruck, wegen seiner antikommunistischen Verbindung mit der anderen Universität jenseits der Mauer. Die Studenten beriefen sich auf die Formel ihrer Kommilitonen in Berkeley: The students shall have the right to hear any person speaking in any open area on campus, at any time, on any subject except when it would cause a traffic problem or interfere with classes. Als sie dann mächtig geworden waren im Laufe der Jahre, eine große Bewegung, da hatte ein Teil von ihnen, Rote Zellen, KSV, KHG, von sich aus diesen Vorgang in anderer Weise wiederholt, in dem sie mit der Macht ihrer Leiber und Stimmen verhindert haben, daß andere die Freiheit der Rede hatten. 1967, mit der Erschießung Benno Ohnesorgs, schwappte die Revolte über in die Bundesrepublik. 1968 wurde Rudi Dutschke angeschossen und die Bewegung war nicht nur hier auf ihrem Höhepunkt, sondern auch in Paris, London, Barcelona und Rom.

1969 kam die Hochschulreform mit dem Berliner Hochschulgesetz. Die Antwort der SPD auf die Revolte, und der Versuch, sie von den vielen Demonstrationen auf dem Kudamm wieder auf dem Campus in Dahlem zurückzubringen. Das Angebot wurde weitgehend angenommen. Nur ein kleiner Teil der Linken griff seinerseits zur Pistole und schoß Anfang 1970 zurück, zur Befreiung Andreas Baaders und Gründung der Roten Armee Fraktion. In Dahlem begann das mühsame Geschäft von Hochschulreformern, die zwischen den Stühlen saßen. Rechts die NoFU und links Rote Zellen und KSV, die nicht an der Universität als solcher interessiert waren, sondern sie als Steinbruch benutzen wollten für Veränderungen der Gesellschaft. Rolf Keibig wurde von der linken Fraktion zum Präsidenten gewählt, obwohl, das stelle man sich einmal vor, obwohl er nicht promoviert war, sondern nur Diplom-Physiker, ein junger Assistent bei den Soziologen. Im Gegensatz zu Herrn Zahn hat er die Promotion inzwischen nachgeholt mit einer dicken Arbeit über die Wissenschaftsgesellschaft, vor zwei Jahren. Die NoFU zerrte einen Skandal nach dem anderen an das Licht der Öffentlichkeit, dann reagierte der SPD -Senat mit Maßnahmen und die wiederum brachten protestierende Studenten zu Streik und Insitutsbesetzungen. So war immer was los, die ganzen vier Jahre, und die Lösung brachte das Bundesverfassungsgericht 1973. Damit begann die Gegenreform, die letzte Phase.

Nun war auch noch alles verfassungswidrig. Warum? Weil die Professoren durch Assistenten, Studenten und Dienstkräfte in den Gremien überstimmt werden konnten. Das verstieß gegen das Grundrecht auf Freiheit von Wissenschaft. Wieso? Ganz einfach. Die Professoren waren die Wissenschaft. Die anderen nicht. Wenn Professoren überstimmt werden können, ist Wissenschaft fremdbestimmt und nicht mehr frei. Also mußte das Gesetz novelliert werden.

Wie oft es inzwischen geändert worden ist, das weiß hier in Berlin niemand mehr genau. Jedenfalls wurde die Reform Schritt für Schritt zurückgenommen. Rolf Kreibich regierte noch vier Jahre weiter, bis 1976. Dann kam Eberhard Lämmert, ein renommierter Germanist, der zwischen links und rechts vermitteln wollen. Was auch nicht gelang. Er war gewählt worden von einem Mitte-links-Bündnis. Am Ende seiner Amtszeit kam die große Wende, mit der die Machtübernahme der NoFU endlich möglich wurde. Der SPD-Senat wurde 1981 abgelöst von einer Koalition aus CDU und FDP. Nun ging es Schlag auf Schlag, jedes Jahr, wie nach Plan.

1982 wurde das Hochschulgesetz so geändert, daß die Konservativen auch für die Wahl des Präsidenten die Mehrheit hatten. 1983 wurde dieser Präsident dann auch gewählt und die NoFU an die Macht gebracht. 1984 wurden die letzten SPD -Reformen aus der Senatsverwaltung für Wissenschaft entfernt. 1985 geschah das gleiche in der Verwaltung der Universität. Mit vielen menschlichen Tragödien und einer Ausnahme. Die Ausnahme heißt Detlef Bornemann, ist besonders hartnäckig, Kanzler der FU und muß sich wohl manchmal köstlich amüsieren über den Dilettantismus derjenigen, die ihn schon mindestens dreimal aus seinem Amt entfernen wollten. 1986 wurde das Gesetz zum letzten Mal geändert, nachdem man sich vorher in Bonn ein entsprechenes Hochschulrahmengesetz bestellt hatte. 1987 konnte der NoFU -Präsident wiedergewählt werden, trotz einer Affäre, die er mit seinem Pressereferenten ins Werk gesetzt hatte und die in peinlicher Weise an Vorgänge um einen unrühmlichen Medienreferenten in Schleswig-Holstein erinnerten. But Brutus is an honorable man. Und deshalb feiern wir jetzt 1988 das vierzigjährige Bestehen einer Universität.

Da saßen sie nun alle im Audimax, dunkler Anzug, kleines Schwarzes, und draußen im Regen protestierten einige hundert Studenten. Freie Universität Berlin, 1988. Wie sieht sie heute aus? Manchmal machen sich Studenten Vorwürfe, daß sie nicht so rebellisch sind wie ihre Vorgänger in der Revolte. Manchmal reagieren sie gereizt auf Vergleiche. Denn der Vergleich ist in der Tat völlig unangebracht. Die Studenten sind heute so gut und so schlecht wir früher auch. Ruhiger sind sie geworden, obwohl politisch schwach. Rührig sind dagegen die Professoren.

Das Geschäft geht gut, seitdem der CDU-Senat auf die Idee mit den sogenannten An-Instituten gekommen ist. Das sind Institute an einer Universität, nicht Institute der Universität, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die natürlich einen Geschäftsführer brauchen. Geschäftsführer wird ein Professor der Universität. Das hat für das Institut den Vorteil, daß es durch ihn endlich mit der Universität verbunden ist, und für ihn ist es auch ganz günstig. Es gibt noch ein zweites Gehalt als Geschäftsführer. Macht 50.000 Mark pro Jahr, ganz abgesehen von Aufträgen, die über die GmbH nach außen abgewickelt werden. Das ist Kennzeichen der neuen Politik. Man bereichert sich ganz persönlich. Hörsäle und Bibliotheken sind überfüllt, die normalen Etats werden gekürzt, aber es wird ein neues Institut nach dem anderen gegründet, mit viel Geld. Das letzte ist eins für Bankwesen. Geschäftsführer wird ein Freund des Senators. Das vorletzte ist eins für Politik, weil das Otto-Suhr-Institut mit seinen 51 Professoren nicht groß genug ist.

Die NoFu ist immer dabei. Damals, als sie noch damit beschäftigt war, diffamierende Zeitungsannoncen gegen ihre eigene Universität aufzugeben und an Behörden und Betriebe im ganzen Bundesgebiet schwarze Listen mit Namen von Studenten verschickte, die in der Universität für linke Gruppen bei den Gremienwahlen kandidierten, damals sagten sie sich, sie müßten auch was für die Seele tun. Also machte man am Mittwoch abends eine kleine Gesellschaft, in der tatsächlich auch wissenschaftliche Vorträge gehalten worden sein sollen. Im amerikanischen Offizierskasino. Und weil das so toll war, haben sie sich gesagt, da könne man auch eine Akademie der Wissenschaften draus machen. Das sei ja noch viel mehr als ein amerikanisches Offizierskasino. Gesagt, getan. Inzwischen gab es einen CDU-Senat, und nun haben wir auch wieder eine richtige Akademie der Wissenschaften. Es kostet zwar einige Millionen. Aber dafür haben wir in vierzig Jahren auch wieder was zu feiern, nämlich achtzig Jahre FU, sechzig Jahre NoFu und vierzig Jahre Akademie der Wissenschaften. Dann sind wir endlich auch hundertachtzig.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen