Senator Kewenig will veröffentlichen

■ In der Bespitzelungsaffäre VS gegen taz u.a. will Berlins Innensenator Offenlegung der Akten prüfen

Berlin (taz) - Zum „Schutz und im Interesse der bisher in der Öffentlichkeit genannten Journalisten und anderer Personen läßt Innensenator Kewenig gegenwärtig die Frage prüfen“, ob die dort eventuell vorhandenen Erkenntnisse offengelegt werden können. Zu diesem Zweck, so teilte die Pressestelle des Innensenats gestern mit, werde Herr Kewenig gegebenenfalls Verbindung zu den Betroffenen aufnehmen, um ihr Einverständnis für eine Offenlegung zu erhalten. Mit diesem in der Geschichte des bundesdeutschen Verfassungsschutzes wohl einmaligen Vorgang reagierte Innensenator Kewenig alias Wanzen-Willi auf eine Erklärung der SPD vom Wochenende, in der SPD-Chef Momper Kewenig der Lüge bezichtigt hatte.

In dieser Erklärung hatte die SPD die Dementis des Innensenators zu widerlegen versucht und sich dabei auch Insiderwissens aus der Parlamentarischen Kontrollkommission bedient. Namentlich als Opfer des Verfassungsschutzes genannt wurden bislang die ehemaligen taz-Journalisten Sontheimer ('Zeit‘), Küpper ('Tagesspiegel‘) und Johan Legner (Sprecher der Senatorin für Jugend und Sport) sowie der freie Journalist Paul Glaser. Die Namen tauchten allerdings bereits im 'Stern‘ der letzten Woche auf - der 'Spiegel‘ will darüber hinaus wissen, daß auch über den jetzigen Mitarbeiter beim Parteivorstand der SPD in Bonn, Tilman Fichter, ein Dossier existiert. Zudem ist bereits jetzt öffentlich bekannt, daß mindestens sämtliche Mitarbeiter der taz, die 1983 an einer spontanen Demonstration anläßlich der Verhaftung ihres ehemaligen Kollegen Benni Härlin teilgenommen hatten, ins Fadenkreuz des Verfassungsschutzes gelangten.

Parallel zu dem Schlagabtausch in der Öffentlichkeit blockte die Mehrheit von CDU/FDP in der gestrigen Sitzung des Innenausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses jede weitere Aufklärung über die Bespitzelungsvorwürfe ab. Mit Verweis auf den parlamentarischen Untersuchungsausschuß zum Verfassungsschutz, der nun auch nach dem Willen des Senats am kommenden Donnerstag eingesetzt werden soll, wurde das Thema VS von der Tagesordnung gekippt. Für den Untersuchungsausschuß, in dem die CDU turnusmäßig den Vorsitz stellen wird, zeichnete sich bereits am Montag ab, daß die Koalition versuchen wird, die für sie brisanten Fragen zu unterdrücken.

Im Gegensatz zur SPD, die sich angesichts der knappen Zeit - die Legislaturperiode endet im Januar - auf vier aktuelle Fragen beschränken will, kündigte die CDU eine erhebliche Ausweitung des Untersuchungsauftrages an. Dadurch soll erreicht werden, daß in den wenigen verbleibenden Wochen vor allem Themen bearbeitet werden, die noch in die Verantwortung früherer SPD-Regierungen fallen (z.B. Schmücker). Senatssprecher Fest teilte außerdem mit, daß Diepgen nach wie vor eine unabhängige Persönlichkeit zur Überprüfung des Verfassungsschutzes suche. Dies würde mit dem Untersuchungsausschuß nicht kollidieren, da der Unabhängige vor allem strukturelle Schwachstellen der Geheimen feststellen soll.

Jürgen Gottschlich