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Ventil gesucht: Atomgemeinde unter Druck

■ RWE gerät ins Schußfeld / Bundesumweltminister Töpfer redet erstmals über Stillegung von Biblis

Drei Tage nach der Enthüllung des Biblis-Störfalls dreht sich das Atom-Karussell der Krisenmanager. Die Bundesregierung verlangt von Töpfer Auskunft über Biblis, Töpfer verlangt von Weimar Auskunft, Weimar vom Betreiber RWE. Dem Energiekonzern, gößter privater Stromversorger Europas, wird „eine erkennbar falsche Darstellung“ des Störfalls vorgeworfen. Die taz wirft einen Blick auf das Melde(un)wesen von Störfällen und fragte den Betriebsratsvorsitzenden in Biblis nach Konsequenzen.

Bonn rotiert um das Atom. Nach einer Umweltausschußsitzung will Minister Töpfer nicht mehr ausschließen, per Bundesweisung die Stillegung von Biblis A zu verfügen. Sein hessischer Amtskollege Weimar soll die Zuverlässigkeit der Betreiberfirma RWE prüfen. Aber gemach: Töpfer hat dem Hessen erstmal einen Brief geschrieben und um Aufklärung der Weimar-Äußerungen in der Presse gebeten, denen zufolge die „erkennbar falsche Darstellung des Störfalls“ durch die RWE an allem schuld sei. Auf diese Linie schwenkt jetzt auch die FDP ein. Abgeordneter Baum: „Versagt hat der Betreiber, nicht der Minister.“ Der wiederum stellt eine neue Verordnung in Aussicht: Veröffentlichungs-Pflicht von Störfällen durch die Länder.

Doch was soll denn da veröffentlicht werden? In insgesamt sechs Fällen, so heißt es im Umweltausschuß, wurden im vergangenen Jahr Störfälle nachträglich in die höhere Kategorie „Eilt“ eingestuft; in insgesamt 18 Fällen wurde es diskutiert, bei zweien haben sich die Fachgremien bis heute nicht entschieden. Was in Biblis vorgefallen war, wußte Minister Töpfer jedenfalls höchstpersönlich bereits am 12.Oktober: Da bekam er die Akte auf den Tisch.

Die SPD findet das alles einen Skandal und fordert die Sicherheitsüberprüfung sämtlicher Atomkraftwerke. Zu der Mitwisserschaft der SPD-Länder in Sachen Biblis (siehe taz von gestern) meint der umweltpolitische Sprecher Harald Schäfer etwas lahm, nicht alle SPD-Länder hätten ja Reaktoren, die Information in der Bund-Länder-Kommission sei nur mündlich gewesen, und überhaupt ... Intern wird bei den Sozialdemokraten darauf verwiesen, daß die zuständigen Beamten in diesen Landesbehörden von dem neuen Atom-Kurs der SPD nicht unbedingt überzeugt sind. Fast unbemerkt wird vom Kabinett das neue Bundesamt für Strahlenschutz verabschiedet. Der zentralen Atombehörde könnten nun im Licht der jüngsten Ereignisse noch mehr Aufgaben zuwachsen, kündigt Töpfer an. In einem Rutsch verabschiedet das Kabinett auch gleich die neue Strahlenschutznovelle, von Experten heftig kritisiert.

Lothar Hahn, Sicherheitsexperte vom Darmstädter Öko -Institut, mußte beim Umweltausschuß vor der Tür bleiben. Union und FDP wollten zu Biblis nur den offiziellen Verharmloser Birkhofer, Vorsitzender der Reaktorsicherheitskommission, hören, von dem der grüne Abgerodnete Daniels sicher ist: „Der hat gelogen.“ Lothar Hahn lenkt die Aufmerksamkeit auf den Abschlußbericht der nach Tschernobyl eingeleiteten Sicherheitsüberprüfung aller Reaktoren: Der Bericht wird, passend zur Biblis-Krise, heute erst vorgestellt; Lothar Hahn nach Kenntnis des Bericht -Entwurfs: „Kein deutsches AKW ist in einem Zustand, den man als unbedenklich bezeichnen kann.“ Besonders pikant: In dem Berichtsentwurf vom 18.November „bittet“ die Reaktorsicherheitskommission noch immer um „Vorschläge für Verbesserungen“, wie Störfälle nach dem Biblis-Modell künftig verhindert werden können, während doch angeblich diese Verbesserungen längst erfolgt sind. Fragen über Fragen - Minister Töpfer muß dazu heute gleich zweimal in die Bütt: Erst im Bundestag wg. Biblis, dann vor der Presse zu dem Tschernobyl-Bericht.

Ch. Wiedemann

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