: StudentInnenbewegung '88 -betr.: "Demokratie klappt nur durchs Mitmachen", taz vom 10.12.88
betr.: „Demokratie klappt nur durchs Mitmachen“,
taz vom 10.12.88
Ich finde es erstaunlich, daß die ihrem Anspruch nach linke taz Leute beschäftigt, die durch ihre publizistische Tätigkeit eindeutig der Rechten nützen. Denn genau das, was Hartung als Stärken der StudentInnen '88 ausgibt, sind doch die Schwachpunkte der derzeitigen Aktivitäten. Es ist doch eigentlich nicht so schwer zu erkennen, daß, wer die Universität verändern will, auch die Gesellschaft verändern muß, deren Teil die Universität ist. Da das auch '68 nicht grundlegend gelang, konnten die damals erreichten Erfolge der StudentInnenbewegung in späteren Jahren Stück für Stück rückgängig gemacht werden.
'68 und '88 zu vergleichen ist aber hochinteressant und sehr sinnvoll, wenn es zu dem Zweck, aktuelle und zukünftige Fehler zu erkennen und zu vermeiden, getan wird und wenn man davon ausgeht, daß sich nicht gleichgewichtige Ereignisse gegenüberstehen, sondern daß es den Herrschenden bis heute nicht gelungen ist '68 totzukriegen. Damals gelang es einer internationelen Bewegung (nicht nur StudentInnen) von San Francisco über Paris, Berlin, Prag bis Warschau, Verkrustungen aufzubrechen, gesellschaftliche Mechanismen aufzudecken, Kritik daran zu formulieren und dem auch Taten folgen zu lassen, was einige Staaten an den Rand einer Revolution brachte.
Ein Resultat war auch die Solidarisierung mit der „Dritten Welt“ und dortigen Befreiungsbewegungen. Viele Menschen wurden in jenen Jahren so geprägt, daß sie ihr gesamtes Leben und Arbeiten in den Dienst der Emanzipation des Menschen stellten. Aber als schnelle Erfolge ausblieben und der „magic summer“ Schnee von gestern war, war es doch nur eine relativ kleine Anzahl von Leuten, die wirlich blieb. Das ist traurig und normal.
Genau darauf spekuliert heute der Berliner Senat, der sich im Gegensatz zu vielen StudentInnen nicht gegen politische Analyse sträubt oder diese für unnötig hält, sondern ExpertInnen angestellt hat, die sich professionell damit beschäftigen. Sie spekulieren darauf, daß sich die Unorganisiertheit der StudentInnen letztendlich als Schwäche erweisen wird und daß spätestens an Weihnachten der ganze Spuk überstanden sein wird.
Auch ich befürchte, daß dann vieles zusammenbrechen wird, auch weil sich viele überforderten und zuviel Arbeit aufluden. Ich hoffe aber, daß jetzt noch einige Verbesserungen für die Unis erreicht werden und daß danach einige Gruppen und Strukturen, die sich während des Streiks gebildet haben, erhalten bleiben, so daß es möglich wird, langfristig wieder eine einflußreiche studentische Mitbestimmung zu erlangen. Will sagen: studentische Selbstbestimmung. (...)
Rüdiger Fleck, Student, Berlin 65
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