piwik no script img

Im Iran ist selbst die Trauer verboten

An einem Dezembermorgen wurde der Mutter von Reza Esmati ein Bündel Kleider übergeben - im Iran ein zu dieser Zeit alltägliches Zeichen, daß ein Gefangener hingerichtet wurde Als „Kommunist und Gotteslästerer“ zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt / Ein Gespräch mit der in Berlin lebenden Frau von Reza Esmati  ■ I N T E R V I E W

Ich treffe Mahin Esmati in der Wohnung eines gemeinsamen iranischen Bekannten in Berlin. Sie ist blaß und nervös und hat dunkle Ringe unter den Augen. Immer wieder lehnt sie sich zurück und schließt die Augen oder schlägt die Hände vors Gesicht.

taz: Mahin, wie hast Du erfahren, daß Dein Mann im Iran hingerichtet worden ist?

Mahin: Ich wollte am Montagabend (den 5.12.) mit meiner Schwiegermutter sprechen, weil ich gehört hatte, daß sie am Tag zuvor im Evin-Gefängnis in Teheran war und man ihr gesagt hatte, sie solle am nächsten Tag wiederkommen. Ich rief also in Teheran an und fragte, was los sei, und da sagte meine Schwiegermutter: Das kannst du dir schon denken. In der Nacht hat sie mich dann noch einmal angerufen und erzählt, daß man ihr ein Bündel von Kleidern gegeben habe. Sie mußte eine Erklärung unterschreiben, daß die Familie keine Trauerfeier veranstaltet. Mein Schwiegervater ist auch zum Gefängnis gegangen und sie haben ihm eine Liste mit den Namen von Hingerichteten gezeigt und gesagt, daß auch sein Sohn darunter sei. Wie oder wann diese Leute hingerichtet worden sind, darüber haben sie keine Auskunft erteilt.

Weißt Du, wieviele Namen auf der Liste standen?

Etwa siebzig Namen.

Wann wurde Dein Mann festgenommen?

Wir waren beide Sympathisanten der Kumeleh (einer ursprünglich kurdischen Organisation, d. Red.). Als 1981 die Auseinandersetzungen zwischen Regimeanhängern und Oppositionellen ihren Höhepunkt erreichten, sind eines Nachts um zwei Uhr Revolutionswächter in unserer Wohnung erschienen. Mein Mann öffnete die Tür, und die Revolutionswächter packten ihn an den Händen, zerrten ihn raus und nahmen ihn mit. Damals war mein Sohn Said gerade dreizehn Tage alt.

Nach drei Monaten teilte man uns mit, daß wir Kleider und Decken und 200 Toman (knapp 70 Mark) ins Evin-Gefängnis bringen sollten. Jeden Montag versammelten sich die Angehörigen der Gefangenen aus der Abteilung meines Mannes vor dem Gefängnis, um etwas in Erfahrung zu bringen. Jedes Mal kamen über Tausend Leute. Nach sechs Monaten habe ich zum ersten Mal eine Besuchserlaubnis erhalten. Wir kamen schon um ein Uhr morgens und stellten uns in einem nahegelegenen Park an. Zwischen zehn und fünf Uhr nachmittags wurden dann Gruppen von uns mit einem Bus zum Gefängnis gefahren. Die Gefangenen saßen hinter dicken, gläsernen Trennscheiben. Man konnte kaum etwas hören und mußte sich durch Zeichensprache verständigen. Wir hatten zum Beispiel noch nicht den Namen des Kindes entschieden, und mein Mann wußte noch gar nicht, wie sein Sohn heißt. Er machte entsprechende Zeichen und ich schrie ihm den Namen zu, aber er konnte nichts verstehen.

Ist Deinem Mann ein Prozeß gemacht worden?

Ich war noch in Teheran, als er anderthalb Jahre nach seiner Festnahme zu zwanzig Jahren Haft verurteilt wurde. Ihm wurde vorgeworfen, Kommunist und Gotteslästerer zu sein. Es gab kein öffentliches Gerichtsverfahren und er hatte auch keinen Anwalt.

Warum hast Du den Iran verlassen?

In den ersten sieben bis acht Monaten, nachdem mein Mann festgenommen wurde, konnte ich ihn nur viermal besuchen. Dann wurde ich selbst gesucht. Ich lebte damals schon nicht mehr zuhause, weil ich vermutete, daß man mich vielleicht auch festnehmen würde. Über Nachbarn habe ich erfahren, daß die Revolutionswächter nach mir gefragt hätten. Ich sah mich gezwungen, im Untergrund zu leben, weil die Revolutionswächter auch in der Verwandtschaft nach mir suchten. Schließlich haben sie meinen vierzehnjährigen Neffen als Geisel genommen. In dieser Zeit konnte ich auch meinen Mann nicht mehr besuchen. Ich konnte mir keine neue Wohnung nehmen, weil das kontrolliert wurde. Wenn mein Kind krank war, konnte ich mit ihm nicht zum Arzt gehen. Ein Verwandter fungierte als Verbindungsmann zwischen mir und der Familie. Freunde haben mich finanziell unterstützt. Schließlich wurde auch dieser Verwandte festgenommen. Dadurch waren mir alle Möglichkeiten genommen, weiter im Iran zu leben, und ich bin über Kurdistan in die Türkei geflohen und dann nach Berlin gekommen, weil ich hier Freunde hatte. Ich wurde als politischer Flüchtling anerkannt und lebe jetzt von Sozialhilfe. Wie soll ich hier schon als Soziologin Arbeit finden? Dazu noch als Ausländerin?

Wie haben Sie von Berlin aus den Kontakt zu ihrem Mann aufrechterhalten?

Ich hatte Verbindung über Verwandte in Teheran, die meinen Mann im Gefängnis besucht haben. Er war sehr abgemagert, so daß sein Ehering ganz locker am Finger saß, und hatte über zwanzig Kilo abgenommen. Mein Mann hatte schon zu Zeiten des Schah-Regimes drei Jahre im Gefängnis gesessen und war etwas älter als die anderen Gefangenen, die ihn als eine Autorität ansahen. Deswegen wurde er zweimal in andere Gefängnisse verlegt. Beim Telefonieren benutzen wir normalerweise Kodeworte. Aber als ich neulich mit einer Verwandten in Teheran sprach, sagte sie ganz offen: Du bist nicht allein, es sind Tausende. Das ist ungewöhnlich, aber die Leute sind jetzt aufgewühlt wegen der Hinrichtungen.

Du hast Deinen Mann sieben Jahre nicht gesehen. Wie hast Du versucht, die Beziehung aufrechtzuerhalten?

Mein Mann und ich haben uns ein Jahr lang gekannt und dann 1978 geheiratet. Da mein Mann 1981, als so viele hingerichtet wurden, verhaftet und nicht getötet wurde, hatte ich die Hoffnung, daß er irgendwann freigelassen werden würde. Aber ich habe mich im Ausland sehr einsam gefühlt, und ein kleines Kind bringt viele Probleme mit sich. Ich hatte wenig Gelegenheit, Freundschaften zu pflegen, abends wegzugehen und mich mit anderen zu unterhalten.

Hast du in dieser Zeit nie das Bedürftnis nach einem eigenen Leben, nach einer Freundschaft gehabt?

Das geht schon daraus hervor, wenn ich gesagt habe, daß ich mich sehr einsam gefühlt habe. Diese Bedürfnisse waren sehr lebendig und präsent. Ich habe aber immer daran gedacht, daß wir uns in einer ungleichen Situation befinden, daß er nicht die Möglichkeit besitzt, Beziehungen einzugehen und ich konnte mir deshalb nur eine Beziehung zu ihm vorstellen.

Wäre die Sitution für Dich leichter gewesen, wenn Du nicht gezwungen gewesen wärst, den Iran zu verlassen?

Im Iran fühlte ich mich ihm viel näher. Wenn ich mit Freunden einen Ausflug gemacht habe, bin ich immer in die Nähe des Gefängnisses gefahren, um dieselbe Luft zu atmen wie mein Mann.

Und wie steht es mit Deinem Sohn, der vor drei Jahren hierher gekommen ist und nun in einer ganz anderen Welt aufwächst als die seines Vaters?

Es stimmt, daß mein Kind viel mit deutschen Kindern in Berührung kommt und stark von der hiesigen Kultur und Gesellschaft beeinflußt wird. Auf der anderen Seite haben wir einen Kreis gebildet, in dem er teilweise aufwächst und viel von der persischen Sprache und Kultur mitbekommt. Von Anfang an habe ich versucht, ihn genau über die Sitaution zu unterrichten. Ich erzähle ihm viel über die Zustände im Iran, seinen Vater, die Verhältnisse, in denen wir leben. Einmal haben wir eine Freundin besucht, die in Moabit gegenüber des Gefängnisses wohnt. Da hat ihm ein Gefangener aus seinem vergitterten Fenster zugewinkt. Das hat ihn an seinen Vater erinnert, er hat angefangen zu weinen und überhaupt nicht mehr aufgehört.

Hast Du Said erzählt, daß sein Vater hingerichtet worden ist?

Ja. Früher hat er jeden Tag oder jeden zweiten Tag gefragt, wo sein Vater ist und wann er kommt. Als dann soviele Leute hingerichtet wurden und ich ständig mit Teheran telefonierte und diesen ganzen Wirbel veranstaltete, hat er aufgehört zu fragen. Er wollte nie wissen, was los ist, warum ich soviel telefoniere, warum ich traurig bin. Gestern habe ich ihm nochmals gesagt, daß ich sehr traurig bin und ihm den Grund erzählen möchte. Da hat er geantwortet, gut, wenn du willst, kannst du es mir erzählen. Dann habe ich gesagt, daß Khomeini sehr viele Leute umgebracht hat, den Vater von diesem und von jenen - es sind ja auch Kindern hier die er kennt - und auch deinen Vater. Und er hat kein Wort gesagt und ist unter die Bank gekrochen und hat geweint. Seitdem hat er keine Frage mehr gestellt.

Das Gespräch führte Beate Seel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen