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„Man war auf sich selbst gestellt“

Klaus Röper war als Hundeführer des Roten Kreuzes in Spitak in Armenien  ■ I N T E R V I E W

taz: Was haben Sie gesehen?

Röper: Das Bild, das sich uns bot, als wir am Samstag ankamen, war ein Bild des Grauens. Das Rote Kreuz hat viele Katastropheneinsätze gehabt, aber eine Katastrophe in diesem Ausmaß war uns bisher noch nicht bekannt. Wir begannen sofort mit dem Einsatz, als wir in die Stadt kamen. Die Menschen standen um die Trümmer und halfen uns mit bloßen Händen, weil nur sehr wenig Bergungsmaschinen vorhanden waren.

Waren die Bewohner der zerstörten Stadt überhaupt in der Lage zu helfen?

Leute, die Angehörige unter den Trümmern hatten, standen unter Schock, sie konnten natürlich nur wenig helfen. Manche Frauen hatten ihre ganze Familie verloren, wußten gar nicht mehr, wie es weitergehen soll. Die Menschen kampieren in den Trümmern, unter irgendeinem Dach, das sie aus herumliegenden Materialien gebaut haben. Und das bei dieser Kälte von minus 15 Grad. Es war grausam. Aber die armenischen Hilfsmannschaften waren sehr hilfsbereit und sehr agil.

Wie unterscheidet sich ein Einsatz in der Sowjetunion von anderen Einsätzen?

Es fehlte an einer Einsatzleitstelle. Es war überhaupt kein Anlaufpunkt da, um sich Informationen zu holen und Einsätze abzusprechen. Man war absolut auf sich selbst gestellt. Wenn wir mit unseren Suchhunden ein Stadtviertel abgesucht hatten, konnte es passieren, daß zwei Stunden später eine Suchgruppe aus Bulgarien oder Österreich noch einmal über die Schuttkegel gegangen ist. Bei einer richtigen Koordination hätte man sicherlich sehr viel mehr Leute herausholen können.

Wie muß die Hilfe weitergeführt werden?

Am nötigsten sind weitere Unterkünfte für die Obdachlosen und - das ist ganz dringend - eine psychologische Betreuung.

War das sowjetische Rote Kreuz überlastet?

Nein, überlastet sicherlich nicht. Die Kollegen haben uns unterstützt mit Dolmetschern und etwas Verpflegung. Aber es kam durch die schlechte Koordination nicht effektiv zum Einsatz.

Wie funktionierte denn die Zusammenarbeit zwischen Zivilstellen und Militär?

Zunächst sahen wir nur Polizeibeamte, die Mühe hatten, die Trümmertransporter aus der Stadt zu lotsen und Plünderungen im Griff zu behalten. Sonst hatten wir mit Behörden überhaupt keinen Kontakt. In Spitak selbst sieht man nichts vom Militär, nur einige Armeeoffiziere, die versuchen, an Informationen zu gelangen. Allerdings wird Spitak von außerhalb durch die Armee bewacht. Reservisten sind in größerer Anzahl eingetroffen und in Zelten außerhalb der Stadt untergebracht.

Haben Sie von Auswirkungen des Nationalitätenkonflikts in Spitak etwas mitbekommen?

Überhaupt nichts. Es gab während unseres Einsatzes überhaupt keine Spannungen. Nach dem Besuch von Gorbatschow in Spitak wurde uns ein Ultimatum gestellt. Wir durften noch bis Dienstag abend suchen. Schon in der Nacht zum Dienstag sind Hunderte von Bulldozern vor der Stadt versammelt worden, um dann Mittwoch und Donnerstag die Stadt zusammenzuschieben.

Wo werden die Einwohner hingebracht?

Ich vermute, die Stadt wird zwangsvakuiert und die Leute werden in irgendwelchen Lagern untergebracht.

Interview: Alexander Smoltczyk

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