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Eurokraten lassen Strahlen-Getreide panschen

Mit bürokratischen Tricks schummelt die EG-Kommission Tschernobyl-belastetes Getreide auf den Weltmarkt / EG schreibt vor, daß mindestens 40 Prozent der für den Export vorgesehenen Getreidemischung aus der strahlenden 86er Ernte stammen müssen  ■  Aus Straßburg Thomas Scheuer

Mit einem unscheinbaren Bürokratentrick bringt die Brüsseler EG-Kommission radioaktiv belastetes Getreide in den Welthandel. Griechischer Hartweizen aus der durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl verseuchten Ernte von 1986 wird gemäß einer offiziellen EG-Verordnung mit unbelastetem Getreide aus den Ernten von 1987 und 1988 vermischt, um die Strahlenbelastung unter die zulässige Höchstgrenze zu drücken. Dies machte die grüne Europa -Abgeordnete Undine Bloch von Blottnitz am Donnerstag in Straßburg am Rande der Dezember-Session bekannt.

Die grüne Parlamentarierin war auf diese Praxis beim Studium einer kürzlich in Kraft getretenen „Verordnung der Kommission über eine besondere Interventionsmaßnahme für Hartweizen in Griechenland“ gestoßen, eines jener Papierchen im Eurokratenjargon, die normalerweise kein Mensch richtig durchliest. Die griechische Getreideernte des Jahres 1986 war durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl so stark belastet worden, daß sie nicht mehr handelsfähig war. Die Silos sind noch heute mit nicht absetzbarem Getreide aus der Ernte 1986 überfüllt.

Vergeblich versuchte die Regierung in Athen, den Lagerbestand durch Sonderregelungen abzubauen. So torpedierten Athens Vertreter im Ministerrat beharrlich die Festlegung niedrigerer Höchstwerte, um die Exportfähigkeit ihres Getreides zu erhalten. Diese stellte die Kommission nun auf dem Papierwege wieder her: In ihrer Verordnung schreibt die Kommission, Griechenland müsse durch Ausfuhr des überschüssigen Weizens in Drittländer entlastet werden; diese Exporte seien - angesichts der mickrigen Weltmarktpreise - von der Gemeinschaft zu subventionieren.

Solche Exporterstattungen zum Abbau von Lagerbeständen sind an sich üblich und entsprechen der Marktordnung für Getreide. Das Besondere an dieser ganz harmlos daherkommenden Verordnung ist jedoch: Die Kommission schreibt ausdrücklich vor, daß mindestens 40 Prozent des zur Exportsubventionierung angemeldeten Getreides aus der Ernte von 1986 stammen müssen. Die war in Griechenland besonders stark vom Tschernobyl-Fallout betroffen worden. Doch von Strahlenbelastung, dem eigentlichen Grund für die ganze Operation, steht in dem Kommissionspapier kein Sterbenswörtchen. Lediglich von abzubauenden „Lagerbeständen, insbesondere der Ernte 1986“ ist da ganz allgemein die Rede.

Beamte des Juristischen Dienstes des Europäischen Parlaments bezeichnen in einem internen Memorandum die genannte Verordnung als „bemerkenswert“: Unter dem Deckmantel einer ganz normalen Interventionsmaßnahme ( Exporterstattung) werde ein höchst brisantes Problem gelöst. „Formaljuristisch“, so das Fazit der Parlaments-Juristen, „ist der Vorgang kaum zu beanstanden. Es ist jedoch festzustellen, daß eine Maßnahme von größter politischer Brisanz im Rahmen einer alltäglichen Verwaltungsmaßnahme der Kommission getroffen wurde, wobei jede demokratische Kontrolle und jede Verbraucheraufklärung vermieden wurde.“

Aus EG-Kreisen war zu erfahren, daß auch andere „vermischungsfähige Lagerbestände“, wie Milchpulver oder Molke, auf ihre „Exportfähigkeit“ warten.

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