: Madrid macht vage Zugeständnisse
Als Reaktion auf den Generalstreik und eine Großdemonstration bietet die spanische sozialistische Regierung Gonzalez ein Round-Table-Gespräch mit Gewerkschaften und Unternehmern an ■ Aus Madrid Antje Vogel
Waren es eine halbe Million Demonstranten, die am Freitag ins Zentrum Madrids marschierten, wie die Gewerkschaften sagen, oder nur 35.000, wie offizielle Stellen ausmachten? Auch die taz konnte die nicht zählen, die sich zwei Stunden in einem nicht enden wollenden Zug durch die engen Straßen der Innenstadt bis zum Platz Puerta del Sol zwängten. Die Demo war der bewegte Gegenpol zum Generalstreik vom letzten Mittwoch, der ganz Spanien lahmgelegt hatte. Die Demonstranten, Arbeiter und Angestellte, nur eine Minderheit Jugendlicher, schwangen die roten Fahnen der Gewerkschaften und riefen Slogans gegen Wirtschaftsminister Carlos Solchaga. „Irgend etwas müssen die jetzt machen“, bemerkte eine ältere Demonstrantin. „Das hier können sie nicht einfach ignorieren.“
Die sozialistische Regierung als Adressatin zeigt inzwischen Ansätze von Entgegenkommen. Die Forderungen der Gewerkschaften nach Anpassung der Löhne der Angestellten und der Pensionen an die Inflationsrate von etwa fünf Prozent in diesem Jahr und nach Ausweitung der Berechtigung für Arbeitslosengeld auf breitere Empfängerschichten würden nächste Woche auf ihre finanziellen Konsequenzen hin geprüft, verlautete Regierungssprecherin Rosa Conde. Auch eine Veränderung des Jugendarbeitsförderungsgesetzes, Hauptanlaß für die Mobilisierungen letzter Woche, werde in Erwägung gezogen.
Die Gewerkschaften Comisiones Obreras (CCOO) und Allgemeine Arbeiterunion (UGT) sind für den kommenden Donnerstag zum gemeinsamen Gespräch mit Regierungschef Felipe Gonzalez und dem Unternehmerverband CEOE geladen. Die Gewerkschaften lehnen dieses Gespräch bislang mit der Begründung ab, der Unternehmerverband habe bei der Erörterung nichts zu suchen, da es sich um Maßnahmen handele, die die Regierung zu treffen habe. Gonzalez hingegen will alle Seiten beteiligen. Ausgeschlossen wird von der Regierung die Ansetzung von Neuwahlen im nächsten Jahr, eine Umbildung des gesamten Kabinetts und eine Ablösung des Wirtschaftsminister Carlos Solchaga. In einer Plenarsitzung des Parlaments soll nächste Woche über die Mobilisierungen debattiert werden.
Daß mit den friedlichen Massenmobilisierungen auch Frechheit eingezogen ist, bekam Miguel Boyer am vergangenen Donnerstag zu spüren. Boyer, langjähriges Mitglied der Sozialistischen Partei, ist der Vorgänger von Solchaga und für die rechte Wirtschaftspolitik der Sozialisten hauptverantwortlich. Auf einer Konferenz wurde er von einem jungen Mitglied der sozialistischen Gewerkschaft UGT als „Verräter der Gewerkschaften“ beschimpft und geohrfeigt. Solchaga nahm's gelassen. Er wolle einen Wandel der Wirtschaftspolitik der Regierung, erklärte er. Das bedeute zwar Zunahme der Arbeitslosigkeit und höhere Inflation, „aber dann merken sie, was das heißt“. Boyer hat mittlerweile einen Spitzenjob in der Privatwirtschaft inne. Siehe Kommentar auf Seite 4
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen